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Die Welt nach Corona - was Trendforscher denken

Von Simone Preuss

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„It's the end of the world as we know it (I had some time alone)“ - dieser R.E.M.-Hit scheint angesichts der weltweiten Isolationswelle als Präventionsmaßnahme zum Coronavirus mehr als angemessen. Der Refrain endet in „and I feel fine“ und das ist es, was Trendforscher derzeit vorhersagen: Die Welt, wie wir sie kennen, löst sich gerade auf. Statt zur Normalität zurückzukehren, wird sich das Leben und Denken ändern, in eine Zeit vor und nach Corona, aber das ist okay. „Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?“, fragt sich etwa der deutsche Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx.

Auch die niederländische Gründerin der New Yorker Trendagentur Edelkoort Inc., Li Edelkoort, die als die einflussreichste Trendforscherin der Welt gilt, ist der Meinung, dass das Coronavirus „eine leere Seite für einen neuen Anfang“ bietet. Auch sie spricht von einer Zurücksetzung von Werten und erwartet, dass das Virus eine „Quarantäne des Konsums“ erreichen wird. Dazu gehört, dass die Menschen sich daran gewöhnen, weniger zu besitzen und weniger zu reisen.

Zurücksetzung von Werten durch Corona

„Die Auswirkungen des Ausbruchs werden uns dazu zwingen, das Tempo zu verlangsamen, kein Flugzeug zu nehmen, von zu Hause aus zu arbeiten, uns nur unter engen Freunden oder in der Familie zu bewegen und zu lernen, selbstständig und achtsam zu werden. Plötzlich sehen Modenschauen bizarr und fehl am Platz aus, die Reisewerbung, die in unseren Computer dringt, wirkt aufdringlich und lächerlich, der Gedanke an zukünftige Projekte ist vage und unschlüssig: Wird es überhaupt eine Rolle spielen? Jeden Tag stellen wir jedes System, das wir seit unserer Geburt kennen, in Frage und sind gezwungen, über seinen möglichen Untergang nachzudenken“, so Edelkoort in einem jüngsten Interview mit dem Architektur- und Design-Magazin Dezeen.

Horx wendet die Technik der RE-Gnose an (statt Prognose), Gegenwartsbewältigung durch einen Zukunftssprung also. „RE-Gnosen bilden hingegen eine Erkenntnis-Schleife, in der wir uns selbst, unseren inneren Wandel, in die Zukunftsrechnung einbeziehen“, erklärt Horx. Statt Angststarre also Blick nach vorn. Coping ist das Zauberwort.

„Coping heißt: bewältigen. Neurobiologisch wird dabei das Angst-Adrenalin durch Dopamin ersetzt, eine Art körpereigener Zukunftsdroge. Während uns Adrenalin zu Flucht oder Kampf anleitet (was auf dem Zahnarztstuhl nicht so richtig produktiv ist, ebenso wenig wie beim Kampf gegen Corona), öffnet Dopamin unsere Hirnsynapsen: Wir sind gespannt auf das Kommende, neugierig, vorausschauend. Wenn wir einen gesunden Dopamin-Spiegel haben, schmieden wir Pläne, haben Visionen, die uns in die vorausschauende Handlung bringen“, führt Horx aus.

Coping statt Angst

„Erstaunlicherweise machen viele in der Corona-Krise genau diese Erfahrung. Aus einem massiven Kontrollverlust wird plötzlich ein regelrechter Rausch des Positiven. Nach einer Zeit der Fassungslosigkeit und Angst entsteht eine innere Kraft. Die Welt ‘endet’, aber in der Erfahrung, dass wir immer noch da sind, entsteht eine Art Neu-Sein im Inneren“, so Horx. Auch Edelkoort hofft auf „bessere Systeme“, die angewandt werden und mehr Respekt für die menschliche Arbeit und ihre Bedingungen bietet.

Zu den positiven Erkenntnissen, so Horx’ RE-Gnose, gehört die, dass eine „bösartige, spaltende Politik nicht zu einer Corona-Welt passt. In der Corona-Krise wurde deutlich, dass diejenigen, die Menschen gegeneinander aufhetzen wollen, zu echten Zukunftsfragen nichts beizutragen haben. Wenn es ernst wird, wird das Destruktive deutlich, das im Populismus wohnt“. Auch Fake News und Verschwörungstheorien werden sich als nicht zukunftstauglich herausstellen.

Einbruch der Wirtschaft, aber kein Zusammenbruch

Was die Wirtschaft angeht, so re-prognostiziert Horx: „Wir werden uns wundern, wie weit die Ökonomie schrumpfen konnte, ohne dass so etwas wie ‘Zusammenbruch’ tatsächlich passierte, der vorher bei jeder noch so kleinen Steuererhöhung und jedem staatlichen Eingriff beschworen wurde. Obwohl es einen ‘schwarzen April’ gab, einen tiefen Konjunktureinbruch und einen Börseneinbruch von 50 Prozent, obwohl viele Unternehmen pleitegingen, schrumpften oder in etwas völlig anderes mutierten, kam es nie zum Nullpunkt. Als wäre Wirtschaft ein atmendes Wesen, das auch dösen oder schlafen und sogar träumen kann.“

Für die Produktion heißt das, dass „Globale Just-in-Time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden“, sich überleben wird. Stattdessen gibt es wieder Zwischenlager, Depots, Reserven; die ortsnahe Produktion boomt, Netzwerke werden lokalisiert und das Handwerk erlebt eine Renaissance, so Horx. „Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen.“

Lokal statt global

Edelkoort stimmt zu: „Die endlosen chinesischen Exporte synthetischer Saris nach Indien und von Haushaltsgegenständen aus Plastik nach Afrika, die dort die lokale Wirtschaft schwer gestört und im Laufe der Jahre eine Menge Arbeitslosigkeit (und Umweltverschmutzung) verursacht haben, könnten ebenfalls zum Stillstand kommen und gegebenenfalls neue Möglichkeiten für die Herstellung vor Ort mit sich bringen.“

„Die wahren Kosten der Stilllegungen in Italien und Japan sowie in Korea und China werden zu einer globalen Rezession von einem bisher nicht gekannten Ausmaß führen. Es handelt sich nicht um eine Finanzkrise, sondern um eine Störungskrise. Die Menschen hören auf, herumzureisen, auszugehen, Geld auszugeben, in den Urlaub zu fahren, zu kulturellen Veranstaltungen zu gehen, selbst in die Kirche!“, sagt sie über die Auswirkungen auf die Mode- und Designindustrie. Was genau die Zukunft bringt, wird sich zeigen.

„Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das weit in die Zukunft weist“, schließt Horx und verweist auf die stärksten Bilder der Coronakrise: musizierende Italiener auf ihren Balkonen und die Umwelt, die aufatmet und sich langsam wieder erholt. Wenn nach nur wenigen Wochen des Produktionsstopps Industriegebiete in China und Italien plötzlich smogfrei sind und nach nur einem Tag eines kompletten Stillstands in einer Megametropole wie Mumbai der Himmel wieder blau und die Luft sauber ist und selbst im sonst dreckigen Stadtgewässer wieder Delfine gesichtet werden, dann läßt sich hoffen, dass die Menschen diesmal doch etwas aus der Krise lernen werden.

Foto: Wandersmann / pixelio.de

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