Veganes Label und Taschenmanufaktur Melina Bucher: „Tierisches Leder oder Plastik kommt nicht in Frage“
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Das Mannheimer Label Melina Bucher eröffnete im vergangenen Jahr einen eigenen Täschnermeisterbetrieb, also einen Handwerksbetrieb, der traditionell auf die Verarbeitung von Leder spezialisiert ist. Das Besondere ist jedoch, dass der Mannheimer Betrieb ganz auf vegane und biobasierte Materialien spezialisiert und damit der erste und einzige in Deutschland ist. Ziel ist es, bald ein 100 Prozent biobasiertes Produkt zu entwickeln.
Schaut man sich die (junge) Geschichte von Melina Bucher an, dann scheint das Label auf dem besten Wege, dieses Ziel zu erreichen, gewann es doch bereits im Jahr 2022 den PETA Vegan Fashion Award für seinen „Bailey“ Bag in der Kategorie „most innovative piece“ und 2023 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis im Bereich Design. FashionUnited sprach mit Gründerin Melina Bucher über die Entstehung des Labels und der Manufaktur, alternative Materialien und die Herausforderungen bei deren Verarbeitung.
Frau Bucher, wie kam es zur Gründung ihres veganen Labels?
Nach meinem BWL-Studium an der Universität Mannheim habe ich selbst an der Uni als Verantwortliche für den Studiengang Modemanagement mit den Schwerpunkten Nachhaltige Mode und Innovative Geschäftsmodelle gelehrt und war auch im Forschungsbereich tätig. Bei den Materialien stellte sich schnell heraus, dass man nicht alles glauben kann, was in den Medien steht und man selbst nachforschen muss. Ich wollte dann eine vegane Handtasche herausbringen, da ich schon seit Jahren vegan lebe. Da macht es keinen Sinn, mit einer Ledertasche herumzulaufen.
Ich habe dann im Mannheimer Startup-Zentrum die ersten Designs entwickelt. 2019 kam die erste Tasche heraus. Die Herstellung gestaltete sich recht schwierig. Ich habe zunächst alle großen Luxuslabels angeschrieben, um zu sehen, ob die Interesse an der Entwicklung einer veganen Tasche hätten, doch die Antworten waren relativ ernüchternd; sie sind alle stolz auf ihr Lederhandwerk.
Und Sie schafften es plastikfrei von Anfang an?
Am Anfang noch nicht, weil es nichts anderes gab, aber dann habe ich sehr schnell umgestellt. Ich hab mich mit dem Thema Plastik in meiner Prüfung beschäftigt — je mehr man liest, um so schockierter ist man ja, was das alles anrichtet - wenn man jetzt schon Mikroplastik in Embryos findet oder in der Plazenta von Frauen, das ist unglaublich. Die Forschungsergebnisse dazu sind auch immer eindeutiger; es ist einfach sehr gesundheitsschädlich.Deshalb sind wir damit beschäftigt, ein 100 Prozent biobasiertes Produkt zu entwickeln. Wir sind schon sehr weit gekommen, teilweise scheitert es noch ein bisschen am Funding; um zum Beispiel einen eigenen Klebstoff zu entwickeln braucht man schon mehr als ein kleines Label. Von daher versuchen wir Verbundprojekte mit einzugliedern; da gibt es ziemlich viele, die einen biologischen Anteil haben, aber noch keine 100 Prozent, aber wir sind da dran.
Und wie kam es zur Gründung der Täschnermanufaktur?
Ich habe dann einen tollen Produktionsbetrieb in Spanien gefunden, einen Familienbetrieb, der auch Lust auf das Thema hatte und darauf, mit neuen Materialien zu arbeiten. Er hat die Zeit bekommen, Neues auszuprobieren da die Materialien, egal ob Kunstleder oder neuere Materialien, alle ein bisschen anders sind, weil es einfach verschiedene Technologien gibt. Man muss sich einfach immer wieder neu in die Materialien hineindenken und neu experimentieren, vielleicht auch mit den Designs und die Maschinen anpassen.
Ich wollte eigentlich schon von Anfang an in Deutschland produzieren lassen, um so nah wie möglich am Produkt zu sein, aber es war überall das gleiche Problem: Ich habe dann zwei, drei Täschnerbetriebe gefunden, die mitgemacht hätten, aber die bekamen dann Probleme mit den Gerbereien und Lieferbetrieben. Es ist auch manchmal ein bisschen ein politisches Thema, glaube ich, ob man da mit den Materialien arbeiten kann, will, darf oder nicht.
Wir haben dann wie gesagt in Spanien produziert und waren auch mit der Qualität sehr zufrieden, aber für mich war an der Stelle noch nicht Schluss. Ich habe dann sehr früh mit Natural Fiber Welding, die Mirum, das plastikfreie Material herstellen, Kontakt gehabt und mit denen in zwei Jahren im Endeffekt das Material immer wieder getestet und neue Prototypen erstellt, bis wir dann weltweit zum ersten Mal auch eine Tasche daraus auf den Markt gebracht haben [das Modell „Bailey“, Anm.d.Red.].
Das war 2022?
Ja, genau. Und diese Leistung, immer wieder neue Samples zu testen und zu schauen, was funktioniert, was funktioniert vielleicht anders, was funktioniert vielleicht gar nicht, das kann ein externer Produzent irgendwann nicht mehr. Unser Produzent in Spanien hat tatsächlich lange mitgemacht, aber ich habe dann letztes Jahr irgendwann gesagt ‘Wir müssen das eigentlich in-house machen’. Zum einen, damit wir noch mehr über das Material erfahren, zum anderen auch, weil wir einfach immer mehr solcher Forschungsprojekte angefangen haben, auch zu Klebstoffen, Farben und Ähnlichem. Wir experimentieren momentan mit sieben oder acht Außenmaterialien von verschiedenen Innovator:innen um zu schauen, dass wir da die nachhaltigsten Materialien finden, die aber auch optisch und designtechnisch ansprechend sind.
Und so kam es dann zur eigenen Täschnermanufaktur?
Genau. Und hier beschäftigen wir uns nicht nur mit den Außenmaterialien, sondern auch mit allem, was in der Tasche steckt, also Schäume und Ähnliches, wo noch, glaub ich, gar niemand hinschaut. Auch da gibt es erste Alternativen, aber die müssen auch mit den neuen Materialien zusammenpassen. Es ist ziemlich viel Aufwand; ich glaube, zwei unserer Mitarbeiterinnen beschäftigen sich fast ausschließlich mit dem Testen der Materialien.
Wie viele Mitarbeiter:innen beschäftigen Sie derzeit?
Momentan sind wir zu fünft: zwei Täschnerinnen, eine Designerin, eine Person im Marketing- und PR-Bereich und ich selbst.
War es schwierig, Mitarbeitende zu finden?
Überhaupt nicht. Ich habe im letzten Jahr blauäugig gesagt ‘komm, wir schreiben mal eine Stelle für eine:n Feintäschner:in aus’, da ich wusste, das es noch fünf Ausbildungsbetriebe in Deutschland gibt. Und dann haben wir auch ganz schnell die erste Bewerbung bekommen von einer Dame, die gerade als eine von zweien noch den Meister:innentitel gemacht hatte, und auch auf der Suche nach einem Arbeitsplatz war. Viele Meister:innen orientieren sich auf das europäische Ausland (gerade Italien, Spanien oder Portugal) um, weil es keine Alternativen gibt. Unsere Bewerberin wollte gerne mit nachhaltigen Materialien arbeiten und war sehr froh, dass diese Stelle ausgeschrieben wurde.
Dann haben wir gerade eine Täschnerin eingestellt, die zuvor bei Loewe in Paris gearbeitet hat. Sie suchte auch nach einem Arbeitsplatz, der mit nachhaltigen Materialien arbeitet und Nachhaltigkeit in den Fokus nimmt und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich. (lacht) Von daher haben wir tatsächlich viele Bewerbungen bekommen. Und Stichwort Fachkräftemangel, wir haben da eine ganz andere Perspektive.
Wie sieht diese Perspektive aus?
Wir lassen unsere Mitarbeitenden ausprobieren und sie haben Spaß daran. Unsere Täschnerinnen etwa probieren aus, wie sie mit den Materialien arbeiten können, wie sie mit ihnen das machen können, was sie schon immer kennen, aber auch was man anders machen kann in Bezug auf Schnittentwicklung, Prototyp und mit den Maschinen, mit denen gearbeitet wird. Also wie wir uns mit den Materialien anpassen können.
Ich denke, dass ist ein bisschen unser Erfolgsgeheimnis. Auch im Designprozess - unsere Designerinnen schauen sich erst die Materialien an und überlegen sich dann Designs, die zu ihnen passen und nicht umgekehrt. Und ich glaube, das macht den Erfolg der Produkte aus, weil man eben nicht alles genauso machen kann wie bei Leder. Man kann aber andere Sachen machen, die bei tierischen Ledern zum Beispiel nicht funktionieren. Das ist ja auch das Schöne, man muss sich auf die Materialien einlassen und Lust drauf haben.
Als Sie 2019 Luxuslabels angeschrieben haben, waren die von der Idee einer veganen Tasche noch wenig begeistert. Denken Sie, das hat sich jetzt, fünf Jahre später, geändert? Stossen Sie jetzt auf mehr Interesse?
Das ist ganz zielgruppenabhängig. Es gibt auf jeden Fall immer mehr Menschen, die spezifisch ein veganes und vor allem ein plastikfreies Produkt suchen, die finden uns auch über das Internet. Das ist vor allem im amerikanischen Sprachraum so, in Großbritannien, da ist das Thema ‘vegan’ eigentlich schon ein bisschen moderner und cooler besetzt als in Deutschland.
Von daher wächst die Zielgruppe auf jeden Fall. Ich würde sagen hier im DACH-Raum ist es vor allem das Handwerk, das überzeugt und dass wir lokal in Deutschland fertigen. Wir waren jetzt auch schon als Pop-up in verschiedenen Luxusmodehäusern vertreten. Dort werden die Taschen gekauft, weil den Menschen das Design gefällt und die Frage danach, wo die Tasche gefertigt wird, wird im Luxusbereich fast nie gestellt.
Das ist ja auch eigentlich die Zielvorstellung - das man wieder in ein Modegeschäft gehen kann und nach dem Design auswählt, und trotzdem ein nachhaltiges Produkt kauft, da alle nachhaltig hergestellt sind. Von daher freue ich mich über jede:n Kund:in, insbesondere die, die gar keine Ahnung von dem Thema Nachhaltigkeit hat und die Taschen einfach nur schön findet und trotzdem ein nachhaltiges Produkt gekauft hat. In der Nachhaltigkeits-Bubble denkt man immer, alle kaufen nachhaltig oder suchen nach nachhaltigen Produkten, aber da sind wir leider noch lange nicht angekommen.
Ist die Lederähnlichkeit veganer Materialien noch ein Thema?
Wir gehen mit unserem neuen Design immer mehr in eine futuristischere Richtung und lernen da unsere eigene Handschrift kennen. Das ist auch eine spannende Entwicklung bei den biobasierten Materialien, die jetzt auf den Markt kommen. Es lag die ganze Zeit viel Fokus darauf, eine möglichst ledernahe Alternative zu entwickeln — optisch und haptisch. Es sind jetzt aber immer Materialinnovationen dabei, die anders aussehen.
Die es auch einfacher machen für Innovator:innen, Brands zu überzeugen, weil Designer:innen für sich stehend werten und sagen ‘es sieht cool aus, das kann ich verwenden für die und die Produkte’ und es nicht automatisch mit tierischem Leder vergleichen. Da fällt nämlich jede kleine Ungenauigkeit auf, oder das etwas anders ist, fällt vielleicht negativ auf, während bei einem Material, das aussieht wie Marmor, man es vielleicht gar nicht mit Leder vergleichen würde.
Das macht es manchmal einfacher und ich glaube, da kommen auch in den nächsten Jahren viele spannende, neue optisch und haptisch ansprechende Produkte auf den Markt, die gar nicht mehr viel mit tierischem Leder zu tun haben. Da neue Auswahl zu bieten ist meiner Meinung nach der richtige Weg, um die Menschen auch wieder innovativ anzuregen und neue Dinge zu zeigen. Ich glaube es muss beides geben - es muss sicherlich Produkte geben, die die Tierlederfraktion abholen, aber ich glaube, es darf auch ganz neue, verrückte, schöne, kreative Ansätze geben, die dann vielleicht ganz neue Zielgruppen erschließen.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit der Universität vorstellen?
Wir haben tatsächlich mehrere. Wir arbeiten eng mit der Hochschule Reutlingen zusammen, weil wir Teil des Textile Accelerator Programm als Gründerinnen und auch als Mentorinnen tätig sind. Wenn es thematisch passt regen wir auch gemeinsame Forschungsprojekte an. Wir testen die Materialien etwa in der Anwendung, aber die Universitäten testen die Materialien auch im Labor, weil es verschiedene genormte Tests gibt für Materialperformance. Dann entwickelt man vielleicht gemeinsam Komponenten, das ist ganz unterschiedlich. Die Universitäten sind da tatsächlich sehr offen und haben viele Ideen, wie man Materialien verbessern kann. Es fehlt ihnen aber die Anwendung und uns die Tests im Labor, von daher ist der Austausch sehr befruchtend.
Das Wissen nutzen wir dann für unsere eigene Kollektion, aber auch für Projekte, sei es mit den Innovator:innen selbst, etwa den Weg vom Labor zur Skalierung: Auf was man achten muss, welche Materialeigenschaften ein Material für die Modeindustrie braucht, für Schuhe aber eben auch für den Automobilbereich. Was sie verbessern müssen und wie sie vielleicht an Labels herantreten, sowas mache ich auch.