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5 Mythen über Leder und vegane Alternativen entlarvt

Von Simone Preuss

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Mode
Miomojo-Handtaschen aus AppleSkin. Bild: Miomojo

In der Modewelt und unter Verbraucher:innen herrscht teils große Verwirrung, wenn es um vegane Produkte geht, insbesondere um Lederalternativen: Sind sie schädlich, weil einige von ihnen Polyurethane (PU) und Chemikalien verwenden, oder sind sie das kleinere Übel, da es das perfekte, zirkuläre Material (noch) nicht gibt?

FashionUnited sprach mit Claudia Pievani vom veganen Label Miomojo, das Handtaschen und kleine Accessoires aus verschiedenen Lederalternativen wie Kaktus, Äpfeln oder Mais herstellt, und räumte schnell mit einigen gängigen Mythen auf. Mit ihrer Diplomarbeit über den Treibhauseffekt vor nunmehr 20 Jahren stieg sie in die Umweltdebatte ein. Als sie vor fast zehn Jahren ihr eigenes Label gründete, setzte sie ihre Studien mit umfangreichen Recherchen zu verschiedenen veganen Produkten mit lederähnlichen Eigenschaften fort.

1. Mythos: Tierhäute/-felle sind ein „Nebenprodukt“ der Lebensmittelindustrie

Weißbraune Kuh. Bild: Pixabay / Pexels

Wir beginnen unser Gespräch mit der oft gehörten Behauptung, dass Leder ein „Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie“ sei und somit die Abfallprodukte der Fleisch und Milchproduktion reduziere. „Die Lederindustrie beginnt ihre Argumentation in der Mitte, das heißt, wenn das Tier bereits getötet ist. Aber wenn die Kuh geboren wird, der gesamte Lebenszyklus und die intensive Landwirtschaft, all das trägt zum Klimawandel bei“, merkt Pievani an.

„In Wirklichkeit werden Rinderhäute in den Unterlagen der Industrie als wertvolle ‘Mitprodukte’ bezeichnet, und wenn sich die Häute aufgrund der gesunkenen Nachfrage nicht verkaufen lassen - selbst wenn die Popularität von Lederalternativen steigt -, verzeichnen die Schlachthöfe Verluste in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar“, sagt die preisgekrönte französische Filmemacherin und Tierrechtsaktivistin Rebecca Cappelli in ihrem jüngsten Dokumentarfilm „Slay“.

Und was ist mit Füchsen, Waschbären, Nerzen und Chinchillas? Sie werden nicht wegen ihres Fleisches, sondern wegen ihres Fells gezüchtet, und das geht direkt an die Modeindustrie. Laut „Slay“ werden jedes Jahr 2,5 Milliarden Tiere für die Modebranche gehäutet. Das ist natürlich ein großes Geschäft: „Der weltweite Markt für Lederwaren wird im Jahr 2020 auf 394 Milliarden US-Dollar [rund 370 Milliarden Euro] geschätzt, und es wird mit einem Wachstum gerechnet, wenn sich nicht viel ändert“, berichtet die gemeinnützige Organisation Collective Fashion Justice. Das Argument, Tierhäute seien ein bloßes „Nebenprodukt“, kann also schnell entkräftet werden.   

Außerdem werden Tiere, wenn ihre Häute als „Nebenprodukt“ eingestuft werden, buchstäblich in einen Gegenstand verwandelt: „Das Lebewesen verschwindet und wird zu einem Produkt“, sagt Pievani. „Tiere werden auf sehr beunruhigende Weise in Modeobjekte verwandelt, und zwar auf eine Art und Weise, die absichtlich verborgen wird... Wir befinden uns in einem System, das Grausamkeiten in diesem Ausmaß normalisiert hat“, fügt Cappelli hinzu.

2. Mythos: Leder ist ein „Naturprodukt“

Ein Junge beim Gerben und Färben von Leder in Fes, Marokko. Bild: Maria Victoria Eckell / Pexels

Leder wird wegen seiner besonderen Eigenschaften, seiner Langlebigkeit und seiner einfachen Verarbeitung gepriesen und wird oft als natürliches Material dargestellt, das „so wie es ist“ verwendet werden kann. Doch das ist weit von der Wahrheit entfernt: „Da gefährliche und sogar krebserregende Chemikalien wie Chrom und Formaldehyd verwendet werden, um Pelze und Häute zu bearbeiten - sie also so zu verarbeiten, dass die Haut nicht verrottet - zeigen sogar Studien der Branche, dass die Pelze der Modebranche nicht effektiv biologisch abbaubar sind. Eine französische Anzeige in der Vogue Paris, in der Pelz als ‘natürlich’ und ‘umweltfreundlich’ bezeichnet wurde, wurde von den französischen Werbebehörden als ‘stark irreführend’ verboten“, heißt es im „Slay“-Begleitmaterial.  

Auch diejenigen, die mit Leder arbeiten, leiden darunter: Gerbereibeschäftigte weisen häufig hohe Krebsraten auf, da sie chemischen Gerbstoffen ausgesetzt sind, die bekanntermaßen krebserregend sind. Sie berichten auch über Hautkrankheiten, Augenreizungen und chronische Atemwegsprobleme, und einige erliegen diesen Gesundheitsproblemen sogar und sterben.

3. Mythos: Lederalternativen sind weniger nachhaltig, da sie PU verwenden

Handtasche „Tecla“ aus Mais. Bild: Miomojo

Einige Lederalternativen wie Dessertos Kaktusmaterial zum Beispiel ist ein PU-beschichtetes Textil mit Polyesterrücken; Piñatex ist ein Vliesstoff aus Ananasblattfasern und Polymilchsäure (PLA), der mit pigmentiertem Harz beschichtet oder mit einer hochfesten PU-Folie überspritzt wird; das Apfelmark für AppleSkin wird mit PU gemischt, und das Traubenleder von Vegea war zwar zu 100 Prozent plastikfrei, wurde aber aufgrund von Markenfeedback geändert.

Miomojo verwendet für seine Taschen AppleSkin und Mais‘leder’, wobei letzteres eine Mischung aus Biopolyolen, die aus lebensmittel- und gentechnikfreiem Getreide stammen, und Textilien aus natürlichen oder recycelten Materialien ist. Bei den verwendeten Rohstoffen handelt es sich um FSC-zertifizierte Viskose oder recyceltes Polyester aus der GRS-Postconsumer-Kette.

„Wir haben für die meisten unserer Produkte und Materialien Ökobilanzen (LCAs) erstellt, und Tatsache ist, dass ihre Auswirkungen auf die Umwelt geringer sind als die von Leder“, erklärt Pievani. Darüber hinaus vermeiden vegane Lederalternativen Polyethylen (PE), den derzeit am häufigsten verwendeten Kunststoff der Welt, was viele Textil- und Bekleidungsprodukte nicht von sich behaupten können.

„Man kann nicht erwarten, dass Lederalternativen schon perfekt sind; das Wichtigste ist, dass es Fortschritte gibt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht möglich, von Leder auf etwas Organisches umzusteigen, deshalb ist PU noch notwendig. Wir sind immer noch Pioniere, aber die Bemühungen sind da“, erklärt Pievani.

Sie weist auch darauf hin, dass die Kosten derzeit noch sehr hoch sind und dass „es eine gewaltige Herausforderung ist, Kreislauffähigkeit anzustreben, um eine Null-Abfall-Produktion zu erreichen“. In der Zwischenzeit gibt es Second-Life-Optionen für Produkte, während „wir noch herausfinden, was zu tun ist, um vollständig kreislauffähig zu werden“, so Pievani.

4. Mythos: Es gibt keine vergleichbaren Alternativen zu Leder

Ganni x Bolt Threads Tasche aus Mylo. Bild: Ganni

Zugegebenermaßen gibt es noch keine Lederalternativen, die einen perfekten Ersatz bieten, aber es gibt einige, die diesen nahe kommen und/oder zusätzliche Vorteile bieten. Tatsache ist, dass sich traditionelle lederverarbeitende Betriebe bei steigender Nachfrage auf diese neuen, ethischen Materialien einstellen müssen.

Hier sind einige von ihnen:

  • Mirum, eine 100-prozentig plastikfreie, 100-prozentig vegane Alternative, die nur natürliche Materialien wie Kautschuk, Pflanzenöle und landwirtschaftliche Nebenprodukte wie Reisschalen und Zitrusschalen enthält. Die nachhaltige Schuhmarke Allbirds brachte erst kürzlich ihre ersten Sneaker aus Mirum auf den Markt.
  • Desserto ist eine äußerst widerstandsfähige, langlebige und teilweise biobasierte Alternative, die Emissionen einspart, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert und für die Ernte keine Bewässerung erfordert.
  • Piñatex ist zu 100 Prozent vegan, zu fast 95 Prozent biologisch abbaubar und wird größtenteils aus sonst weggeworfenen Fasern von Ananasblättern hergestellt. Es wurde bereits von Marken wie Hugo Boss, Nike, H&M, Zara, NAE Vegan und Altiir verwendet.
  • Mylo wird aus Myzel, dem Wurzelsystem von Pilzen, gewonnen und kann in vertikalen Indoor-Farmen innerhalb weniger Tage gezüchtet werden. Große Namen wie Stella McCartney, Kering und Lululemon setzen bereits auf dieses Material.

5. Mythos: Veganes „Leder“ nutzt den Namen und die Popularität von Leder 

Handtasche aus Desserto-Kaktusmaterial. Bild: Desserto

Es stimmt, dass Lederalternativen oft als vegane „Leder“ bezeichnet werden, wie zum Beispiel Kaktusleder, Ananasleder und so weiter. Dies geschieht jedoch nur, um Verbraucher:innen zu vermitteln, dass die Eigenschaften des Materials lederähnlich und vergleichbar sind, dass es sich zum Beispiel wie Leder anfühlt. Zweifellos ist eine neue Terminologie überfällig, und die Modebranche könnte sich von der Lebensmittelindustrie inspirieren lassen, wo sich vegane Alternativen bereits etabliert haben.

„Wir müssen von Leder wegkommen, auch was die Terminologie angeht. Gleichzeitig muss man ein klares Bild davon vermitteln, wie es sich anfühlt. Der Begriff ‘Leder’ wurde in der Vergangenheit verwendet, um alternative Materialien zu vergleichen und als Referenz, damit die Menschen es verstehen, aber jetzt, da sich die Materialien etabliert haben, ist es vielleicht besser, die Bezeichnung ‘alternative Materialien zu Leder’ zu verwenden. In unseren italienischen Materialien verwenden wir den Begriff Leder’ überhaupt nicht“, so Pievani abschließend.

Durch den Verzicht auf den Begriff „Leder“ und die Einführung von Handelsnamen oder einer neuen Kategorie (wie vegane oder ethische Materialien) können sich Lederalternativen durchsetzen und ihren Platz unter den Materialien einnehmen, die Verbraucher:innen die besten Eigenschaften bieten und allen Beteiligten entlang der Lieferkette Respekt zollen.

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