Weißensee Kunsthochschule: „Wir wollen einen Nährboden bieten, auf dem eigene Ideen wachsen können”
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William Fan, Natascha von Hirschhausen und Isabel Vollrath – drei deutsche Modeschaffende, die eine große Gemeinsamkeit haben: Sie alle sind Absolvierende der Weißensee Kunsthochschule Berlin.
Die Hochschule liegt im Osten Berlins, gegründet wurde sie im Jahr 1946, nur ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Heute steht der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz: Es ist ein kleiner, sehr individuell und künstlerisch gestalteter Campus mit viel Grünfläche und versteckten, von den Studierenden selbst gestalteten Ecken.
Neben Bildhauerei, Bühnen- und Kostümbild oder visueller Kommunikation bietet das Lehrangebot der staatlichen Kunsthochschule auch einen Bachelor- und Masterstudiengang im Fachgebiet Modedesign an. Vier Jahre dauert das Bachelorstudium. Das Besondere an dem Studiengang ist das interdisziplinäre Grundlagenjahr: „Die Studierenden aus allen Fachgebieten werden im ersten Studienjahr gemeinsam in den künstlerischen und gestalterischen Grundlagen interdisziplinär unterrichtet und lernen dabei auch zum ersten Mal unsere vielen Werkstätten kennen”, erklärt Heike Selmer, Professorin für Modedesign, im Interview mit FashionUnited. Insgesamt 13 Werkstätten erstrecken sich über den gesamten Campus. Hier lernen die Student:innen handwerkliche Fähigkeiten wie Stricken, Nähen und Weben, arbeiten im Computerstudio und in der Buchbinderei und besuchen die Holz- und Metallwerkstatt.
Künstlerische Freiheit
In der dritten Etage des Hauptgebäudes sitzt der Fachbereich Modedesign. Ab dem zweiten Jahr findet dort das Hauptstudium statt. In den Semestern drei bis acht arbeiten die Studierenden in Projekten, hinzu kommt intensiver Schnitt-Unterricht, Fächer von Modeillustration und CAD bis hin zu Materialkunde sowie Theorieseminare in Kostümgeschichte und Modesoziologie.
Die Projekte erstrecken sich über ein Semester und stehen unter einem übergeordneten Thema. In den letzten Jahren waren es beispielsweise „Luxus” oder „Sustainability and Craft”, so Selmer. Innerhalb dieses Oberthemas sind die Student:innen in der Ausgestaltung ihrer Projekte sehr autonom: „Die Projektthemen, die wir vorgeben, sind frei und dienen als Inspiration. Die Studierenden entscheiden selbst, wie sie diesen Input nutzen”, erklärt Selmer, „In Weißensee hat man die Möglichkeit, sehr künstlerisch und frei zu arbeiten - es gibt wenige Limitierungen und wir versuchen, viel zu ermöglichen”.
Auch die Themen ihrer Abschlussarbeiten können die Studierenden frei wählen. In der Regel entwerfen die Absolvent:innen Kollektionen, für den Bachelor bestehend aus etwa 6 Outfits, und schreiben zusätzlich eine Theoriearbeit. Selmer betont, dass „die Studierenden individuelle Schwerpunkte setzen”. So ist in den Abschlussarbeiten alles dabei: Von einer Taschenkollektion über Stickerei-Arbeiten bis hin zu einer frei drapierten Kollektion.
„Unsere Aufgabe ist, das Potenzial der Studierenden zu erkennen, es zu fördern und sie mit möglichst vielen Werkzeugen auszustatten, um ihnen zu helfen, am Ende beruflich erfolgreich zu sein”, so die Professorin. Einmal im Jahr zeigen alle Studierenden die Ergebnisse ihrer kreativen Arbeit. Bei einer großen Modenschau mit allen Semestern wandern nicht nur die Abschlusskollektionen der Absolvent:innen über den Laufsteg, auch die übrigen Projektarbeiten werden präsentiert und vorgeführt.
Im vergangenen Jahr gewannen gleich zwei Studierende der Weißensee Kunsthochschule Preise beim European Fashion Award Fash in der Kategorie Bachelor. Idan Yoav belegte den ersten Platz mit seiner Abschlusskollektion “Nomads for love”. Seine Kommilitonin Lihi Mende reihte sich mit ihrer Kollektion “The Space” direkt hinter ihm ein.
Interesse als Motor und Antrieb
Wie bei vielen Modedesign-Studiengängen ist auch in Weißensee eine Mappe die Eintrittskarte in die Kunsthochschule. Der Bewerbungsprozess startet mit einer Online-Bewerbung. Anschließend werden ausgewählte Bewerber:innen gebeten, eine Mappe einzureichen, von denen im nächsten Schritt rund 50 potenzielle Studierende zur Eignungsprüfung eingeladen werden.
„Was wir sehen wollen, sind natürlich Ideen und Kreativität, ein Interesse und eine Energie. Interesse daran, künstlerisch zu arbeiten, Interesse an Mode”, so Selmer über die Mappen. Wer zu den glücklichen Ausgewählten zählt, darf für die Eignungsprüfung – oder eher für die Eignungswoche – in die Kunsthochschule kommen. Dort „kommen jeden Tag ein oder zwei neue Aufgaben auf die Bewerber:innen zu”, erklärt Selmer. Die Aufgaben erstrecken sich über die unterschiedlichsten Bereiche. Zudem führt jede Person, die eingeladen wird, ein persönliches Gespräch mit der Bewerbungskommission. Als wichtigste Eigenschaft, die die Bewerber:innen mitbringen sollten, nennt Selmer Interesse: „Ich glaube, das ist genau der Motor, der hilft, dieses Studium am besten zu nutzen”.
Alle Fakten auf einen Blick:
- Adresse: Bühringstraße 20, 13086 Berlin
- Website: https://kh-berlin.de/
- Studiengänge: Bachelor und Master Modedesign
- Abschlüsse: Bachelor of Arts / Master of Arts
- Regelstudienzeit Bachelor: 8 Semester
- Studiengebühren: keine, lediglich Semesterbeitrag i.H.v. 320 Euro
- Anzahl der Studierenden: etwa 17 im ersten Semester
- Betreuung: durch vier Professor:innen, zwei künstlerische Lehrkräfte und Mitarbeitende und Lehrkräfte in den Werkstätten
Freude an der Mode
Der Bachelor Mode-Design „soll dazu befähigen, eine qualifizierte Berufstätigkeit in den unterschiedlichen Bereichen der Mode auszuüben sowie eine eigene gestalterische Position und Design-Identität zu entwickeln. Das Studium fördert eigenständige Entwerfer-Persönlichkeiten nach gestalterischen, ästhetischen, sozialen und ökologischen Kriterien”, heißt es auf der Website der Kunsthochschule. Doch wie wird das in der Praxis umgesetzt? „Zum einen bieten wir den Studierenden flankierend zu den Projekten intensiven fachlichen Input, vertiefen zum Beispiel Themen wie Nachhaltigkeit, üben verschiedene Arten des Entwurfs und das Arbeiten im Team”, so Selmer. „Vor allem geben wir den Studierenden die Freiheit, individuelle Themen mitzubringen und bieten einen Nährboden, auf dem eigene Ideen wachsen können.”.
Nach dem Abschluss stehen den Absolvent:innen alle Türen der Modewelt offen. Viele studieren jedoch direkt im Master weiter, vor allem wenn sie vorhaben, später eigene Labels zu gründen, so die Professorin. Brands von Alumni der Weißensee Kunsthochschule sind beispielsweise Michael Sontag oder Perret Schaad. Auch Masterstudentin Laura Gerte hat schon einen Schritt in die deutsche Modebranche gewagt und zeigte ihre Kollektion auf der Mercedes Benz Fashion Week 2022 in Berlin.
Video: MBFW.berlin via YouTube
„Ich denke, was alle gemein haben, ist eine große Neugier und einen starken Willen, einen Forscherdrang und Freude an der Mode. Und vielleicht auch eine Hoffnung, etwas besser zu machen”, sagt Selmer.