Besuch einer „grünen“ Bekleidungsfabrik in Bangladesch
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Einst von einigen internationalen Auftraggeber:innen als billiger Beschaffungsstandort mit unsicheren Fabriken betrachtet, hat Bangladesch in nur zehn kurzen Jahren einen langen Weg zurückgelegt: Nach dem tödlichen Brand bei Tazreen Fashion im Jahr 2012 und dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes im Jahr 2013 schien die Beschaffung in Bangladesch einen Tiefpunkt erreicht zu haben, und der Ruf des Landes als Produktionsstandort war angeschlagen.
Einige Pessimist:innen sagten damals voraus, dass der Schaden nicht mehr zu beheben sei, aber nur zehn Jahre später befinden sich acht der zehn weltweit führenden LEED-zertifizierten (Leadership in Energy and Environmental Design) Bekleidungsfabriken in Bangladesch; 18 von ihnen wurden kürzlich mit dem Sustainable Leadership Award ausgezeichnet. Außerdem befinden sich mit 48 fast die Hälfte der 100 weltweit führenden LEED-zertifizierten Fabriken in Bangladesch, und Hunderte weitere sollen folgen.
FashionUnited wollte wissen, wie das möglich ist und sich die Situation vor Ort selbst anschauen. Im Rahmen der Made in Bangladesh Week, die letzten Monat in Dhaka stattfand, ergab sich die Gelegenheit, den Betrieb Green Smart Shirts Ltd. (GSSL) in Gazipur zu besuchen. GSSL gehört zur multinationalen PDS-Gruppe, die Lieferketten für große Marken und Einzelhandelsunternehmen weltweit verwaltet, darunter American Eagle, C&A, Carrefour, Pantaloons, Primark, Topshop, Reliance Trends und Walmart. Neben Bangladesch unterhält die Gruppe Beschaffungs- und Produktionsbetriebe in der Türkei, Pakistan, Indien, Sri Lanka, Myanmar, Kambodscha und China.
Ein überraschend ruhiger Campus
Die Fabrik besteht aus acht Gebäuden unterschiedlicher Größe, die auf einer Fläche von 32.000 Quadratmetern angeordnet sind. Auf dem Weg zum Hauptgebäude entlang des weitläufigen Geländes rief ein Mitglied der kleinen Gruppe von Besucher:innen mit großen Augen aus: „Wir sollten doch eine Fabrik besichtigen; das hier sieht eher wie ein Ferienort aus!“
Und tatsächlich, wenn man die zweistöckigen, roten Backsteinbauten betrachtet, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen, und die üppige, tropische Vegetation mit Palmen, Gulmohar-Bäumen, hohen Bambuspflanzen und sogar einem Lotusteich, könnte man das Fabrikgelände für eine friedliche Oase halten. Besonders nach der Hektik und dem Hupen des nicht enden wollenden Verkehrs in Dhaka ist die Stille in Gazipur beruhigend. Obwohl die Stadt nur 25 Kilometer nördlich von Dhaka gelegen und selbst eine große Industriestadt und Textilzentrum mit fast sechs Millionen Einwohner:innen ist, merkt man das nicht, denn die Fabriken liegen weit auseinander und die Anlagen sind üppig, grün und ruhig.
Das heißt, bis auf die fröhliche Musik, die aus den Lautsprechern inner- und außerhalb der verschiedenen Gebäude ertönt. „Musik macht alles besser, hat eine beruhigende Wirkung und hilft, das Tempo zu halten“, erklärt Fateh Ul Islam, Geschäftsführer und CEO von Green Smart Shirts Ltd. „Die Arbeiter:innen mögen sie und sie unterbricht die Monotonie“, fügt er hinzu.
Nachhaltige Bauweise
Ul Islam freut sich, auf die vielen umweltfreundlichen Merkmale „seiner“ LEED-Gold-zertifizierten Fabrik hinweisen zu können: Bei ihrem Bau wurden recycelte Materialien verwendet, und Hochleistungsglas reduziert die Hitze und nutzt natürliches Licht optimal aus. Die energieeffiziente Beleuchtung im Inneren reduziert die Lichtüberflutung, und das Schrägdach der Haupthallen sorgt für ein effizientes Gleichgewicht von Heizung, Lüftung und Luft. Insgesamt wurden Anstrengungen unternommen, um die Luftqualität in den Innenräumen zu verbessern. Die Fabrik verfügt auch über eine Kläranlage und maximiert die Wassereffizienz durch Regenwassernutzung mit einem unterirdischen Tank, der 600.000 Liter Wasser fasst.
Was die Gebäude-, Brand- und Elektrosicherheit angeht, so wurden alle Entwürfe von der Regierung und dem Accord and der Alliance genehmigt. Die Fabrik verfügt außerdem über ein eigenes automatisches Hydrantensystem, Sprinkleranlagen in allen Gebäude und Brandschutztüren, die ein Feuer in einem bestimmten Bereich eindämmen, sollte eines ausbrechen.
Noch in diesem Jahr wird GSSL außerdem ein Solarkraftwerk mit einer Leistung von einem Megawatt in Betrieb nehmen, das nicht nur seine LEED-Zertifizierung auf Platinstatus anheben, sondern auch den gesamten Energieverbrauch der Fabrik von derzeit 800 Kilowatt vollständig abdecken wird. Apropos Energie: Als im Oktober 2016 mit dem Bau begonnen wurde, gab es in der Umgebung keine Energieversorgung; GSSL musste die Gegend erst ans Stromnetz anschließen und verfügt nun auch über ein eigenes Kraftwerk und einen Notstromgenerator mit einem Megawatt Leistung.
Wie bei den Gesprächen auf dem Dhaka Apparel Summit erwähnt, ist es heutzutage für eine Fabrik nicht mehr möglich, nur eine einzige Akkreditierung zu haben, da verschiedene Aufttraggeber:innen unterschiedliche Standards, oft sogar ihre eigenen, einhalten. Dementsprechend verfügt GSSL über eine Vielzahl von Akkreditierungen, von Accord und BSCI bis hin zu Oeko-Tex, Sedex und Wrap.
Kapazitäten
In der Fabrik werden formelle und Freizeithemden für Herren sowie Damenoberteile, Blusen und Kleider hergestellt, wobei jeweils etwa 50 Prozent auf Herren- und Damenkleidung entfallen und das gleiche Verhältnis für waschbare und nicht-waschbare Kleidungsstücke gilt.
„GSSL begann im Juli 2017 bewusst mit einer beschränkten Eröffnung mit nur zwei Produktionslinien und wuchs dann allmählich auf seine aktuelle Kapazität von 30 Linien und zwischen 800.000 und 900.000 Stück pro Monat“, erklärt Ul Islam. Das entspricht etwa 10 Millionen Kleidungsstücken pro Jahr.
Die Fabrik hat derzeit eine Belegschaft von rund 3.000 Beschäftigten, davon 90 Prozent Frauen. Bis 2025 ist eine Verdoppelung der Kapazitäten auf 60 Produktionslinien, mehr als 6.000 Beschäftigte und ein Volumen von etwa 18 bis 20 Millionen Stück pro Jahr geplant.
Das Lager, das bei der Eröffnung groß erschien, platzt jetzt aus allen Nähten, und es wird ein zweites benötigt. Das Material wird zu etwa 80 Prozent importiert, da die Auftraggeber:innen bestimmen, welche Art von Stoff und woher sie für ein bestimmtes Kleidungsstück verwenden möchten.
Die Beschäftigten
Die allgemeine Arbeitsatmosphäre hat sich im Vergleich zu noch vor zehn Jahren drastisch verändert, wobei „smarte“ Fabriken den Weg weisen. Bei GSSL gibt es derzeit nur eine Schicht, von 8 bis 17 Uhr, und optionale Überstunden von zwei Stunden danach. Die Löhne liegen gut über dem Mindestlohn, wie Ul Islam versichert, „wir müssen wettbewerbsfähig bleiben“. Außerdem gibt es einen zusätzlichen Anwesenheitsanreiz von 800 Taka (etwa 7,50 Euro).
Alle Neueinsteiger:innen beginnen für einen Monat lang in der Ausbildungsabteilung und erhalten eine Einführung in den Beruf, bevor sie in eine reguläre Abteilung übernommen werden. Danach gibt es weitere Ausbildungsmöglichkeiten für spezialisierte und technische Fähigkeiten. Außerhalb der Arbeit nehmen die Beschäftigten auch an teambildenden Übungen teil und feiern gemeinsam Feste. „Der Valentinstag ist hier sehr beliebt“, verrät Ul Islam, „und die Mitarbeiter:innenbindung ist hoch“.
Und wie war es in Pandemiezeiten? „Wir hatten nicht einen Covid-Fall unter den Arbeiter:innen“, berichtet Ul Islam stolz. „Die Arbeiter:innen waren sehr diszipliniert, befolgten alle Sicherheitsanweisungen und erhielten zwei Dosen des Impfstoffs. Sie reisten auch nicht, wie etwa das Management, das stärker betroffen war.“
Apropos Management: Ein Bereich, der - wie in so vielen anderen Branchen auch - verbessert werden könnte, sind Frauen in Führungspositionen und Frauen in technischen Berufen. Zwar gibt es Bemühungen, Frauen auszubilden, aber es ist ein langsamer Prozess, und technische (und damit besser bezahlte) Positionen sind immer noch überwiegend mit Männern besetzt.
Ein Tag im Leben einer Bekleidungsarbeiterin
Schauen wir uns einmal an, wie der typische Tag einer Bekleidungsarbeiterin bei GSSL aussieht, um eine bessere Vorstellung zu bekommen: Die Arbeiterin erreicht das Werkstor von zu Hause aus, das sich wahrscheinlich in Gazipur befindet, kurz vor 8 Uhr morgens und steigt zusammen mit ihrem Kind aus dem kostenlosen Shuttlebus. Sie geht vielleicht schnell in den Fair-Preis-Laden am Fabrikeingang, um ihre Bestellung für Reis, Öl, Weizen, aber auch Seife und Shampoos aufzugeben.
Dann bringt sie ihr Kind in den Kindergarten der Fabrik, der sich direkt neben dem Gesundheitszentrum befindet, und begibt sich zu ihrem Arbeitsplatz in der Fabrikhalle. Nachdem sie ihre Weste angezogen hat, die sie als „Line Bandhu“ oder „Helferin“ ausweist, setzt sie sich an ihre Juki-Nähmaschine, um die Arme an eine Bluse für eine bekannte westliche Marke zu nähen. In ihrer Mittagspause geht sie in den Kindergarten, um gemeinsam mit ihrem Kind Mittag zu essen.
Um 17 Uhr ist ihre Schicht zu Ende. Manchmal macht sie auch bis 19 Uhr Überstunden. Dann holt sie ihr Kind vom Kindergarten ab und geht erneut in den Fair-Price-Laden, wo die am Morgen bestellten Lebensmittel bereits verpackt sind und zur Abholung bereitstehen; die Bezahlung erfolgt elektronisch. Beim Verlassen des Ladens stellt sie fest, dass sie Bargeld braucht und geht zum Geldautomaten auf dem Fabrikgelände. Draußen kann sie bei den wartenden Händler:innen frisches Gemüse und Obst kaufen und steigt dann - beladen mit den Lebensmitteln und dem Kind an ihrer Seite - in einen der wartenden Busse und fährt nach Hause.
Was ist das Geheimnis von Bangladesch? Es gibt kein Geheimnis; „grüne“ und sozial verantwortlich arbeitende Fabriken gab es bereits vor dem Brand bei Tazreen Fashion und dem Einsturz des Rana Plaza Gebäudes, sie waren nur nicht im Blickfeld der durchschnittlichen internationalen Auftraggeber:innen (und der ausländischen Medien), da sie keine Schlagzeilen machten. Das heißt, bis jetzt - bereits das dritte Jahr in Folge wurde der Sustainability Leadership Award an besonders nachhaltige Bekleidungsfabriken in Bangladesch vergeben. In diesem Jahr wurde 18 von ihnen für ihre Bemühungen als Vorreiter in Bangladesch und über die Grenzen des Landes hinaus vergeben.
FashionUnited wurde von der PDS Group zum Fabrikbesuch eingeladen.
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