Cotonea-CEO: „Erstmal einen Denkprozess in Gang setzen“
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Der deutsche Hersteller für Bio-Textilien, Cotonea, setzt sich seit langem für mehr Transparenz in der Textillieferkette ein. Etwa durch die Blockchain-basierte Plattform Textile Trust, die er zusammen mit IBM und dem Anbieter von nachhaltiger Arbeitskleidung, Kaya&Kato, bereits 2020 entwickelte. Oder den Textile-Tracker, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Forschungsinstitut für Textil und Bekleidung der Niederrhein University of Applied Sciences, der Agroisolab GmbH und dem WWF Deutschland, das 2021 für Schlagzeilen sorgte.
Im Oktober gab das Bempflinger Unternehmen bekannt, umfassende und richtungsweisende CO2- und Energieanalysen von insgesamt 460 Geweben vorlegen zu wollen, die die gesamte Wertschöpfungskette von der Baumwollpflanze bis zum fertigen Stoff analysieren. Grund genug für FashionUnited, mehr über die Datenbeschaffung und -verarbeitung erfahren zu wollen. Roland Stelzer, Geschäftsführer von Cotonea und dem Traditionsunternehmen Elmer & Zweifel, beantwortete alle Fragen ausführlich.
Herr Stelzer, erzählen Sie uns doch ein bisschen über Ihren Werdegang.
Elmer & Zweifel ist eine Familienfirma; ich bin die sechste Generation. Ich habe zunächst Maschinenbau studiert und danach fragte mich mein Vater, ob ich mir vorstellen könne, in die Firma einzutreten. Dazu habe ich mich entschieden und dann noch Wirtschaftsingenieurwesen als Aufbaustudium gemacht. Ich bin zum November 1987 in die Firma eingestiegen und habe ab Januar 1990 die Geschäftsführung übernommen.
Das war gerade nach dem Mauerfall als der Markt schwierig war – das politische Risiko der Beschaffung war groß. Zudem befand sich Fast Fashion im Aufstieg und hat Europa total verändert. Es war mir dann klar, spätestens nach einem Jahr, dass es so nicht weitergehen kann. Also haben wir die Weberei nach Tschechien verlagert, das hat auch funktioniert, in zwei Schritten, und war Mitte 1994 erledigt.
Wie ging es dann mit der Umorientierung bei Elmer & Zweifel weiter?
Wir haben 1995 begonnen, mit einem anderen Produktprogramm etwas anderes aufzustellen. Zu diesem Zeitpunkt gab es Rohgewebe hauptsächlich aus zellulosischen Fasern, also Viskose und Baumwolle. Wir hatten zu dem Zeitpunkt wenige, aber große Kunden und der Preisdruck war enorm. Wir waren zwar hochmodern und sehr effizient, aber es war klar, dass es unheimlich Druck gab. Wir haben uns dann entschieden, auch Fertigware herzustellen, da man mehr selber beeinflussen kann, was man herstellen will und in welchem Maß. 1995 haben wir dann begonnen, mit Biobaumwolle Erfahrungen zu sammeln.
Dann sind wir dem damaligen AKN (ArbeitsKreisNaturtextil, Anm.d.Red.) beigetreten, der wenige Jahre später (1999, Anm.d.Red.) zum IVN wurde (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e. V.,Am.d.Red.). Wir waren Gründungsmitglieder.
Die zweite Stufe der Wettbewerbsveränderung war 2001, als China in die WTO, also die Welthandelsorganisation aufgenommen wurde, und da praktisch sämtliche Schranken gefallen sind, für chinesische Waren nach Europa, in die USA, und andere Länder zu kommen.
Wir hatten dann in der Zeit bereits mit Fertigwaren Erfahrungen gesammelt, aber wir haben dann entschieden ‘wir lassen jetzt das ganze alte Geschäft hinter uns und konzentrieren uns nur noch auf Bio’. Damals war gerade so ein erster Bio-Hype, so um die Jahrtausendwende. Cotonea startete dann 2003 als unsere Antwort auf die höhere Wettbewerbsintensität aus China und Asien.
Dann kamen die Meilensteine zwischen 2006 und 2016 mit den Bauern in Kirgistan, wo wir unsere Beschaffung aufgebaut haben, mit Hilfe der Schweizer Entwicklungshilfe. Wir betreuen die Kooperative heute allein weiter, nachdem 2016 die Entwicklungshilfe auslief. 2009 haben wir die Beschaffung in Uganda begonnen. Die haben ein sagenhaftes Bioprodukt, wovon es derzeit weltweit nur ganz wenige gibt, die ähnlich interessant und gut sind. Wir haben dann erkannt, dass soziale Fairness zur Nachhaltigkeit gehört und deswegen eine externe Zertifizierung angestrebt (FFL - Fair for Life), damit das auch sichtbar wird.
Wir bieten jetzt Fertigware und Stoffe für andere an, und zwar eine viel größere Bandbreite unterschiedlicher Stoffe, als wir früher hergestellt haben. Seither haben wir eine große Stoffkollektion, das ist unser Hauptverkauf. Stoffe, auf Bio- und Fair-Trade-Basis für andere Marken.
Die Produktion in Asien war kein Thema?
In Asien setzt man mehr auf niedrige Preise in der Herstellung. Wir wussten, wir wollten auf Qualität setzen, von daher ergab sich die Herstellung in Asien nicht. Ich habe mir dort zwar viele Firmen angeschaut, aber die hohe Qualität gab es dort nicht.
Durch die Produktion in Deutschland und Europa bekommen unsere Gewebe einfach Eigenschaften, die besser sind als die von der Konkurrenz. Zudem hat man in Deutschland schon seit vielen Jahren Auflagen, hat teure Energie, teures Wasser, einen guten Maschinenbau. Also der Unterschied ist locker eins zu zehn oder noch mehr, was den Verbrauch angeht, die Exaktheit im Prozess, die Konstanz der Produkte. Das ist einfach eine ganz andere Welt und da haben wir gedacht, ‘da kommen gute Ergebnisse raus’.
Und dann haben wir, was die Nachhaltigkeit angeht, uns in die Landwirtschaft eingearbeitet. Transparenz war auch wichtig. Ebenso wurden Zirkularität und die regenerativen Energien in den Fertigungsstätten mehr und mehr zur Diskussion, was bei uns immer schon ein Thema war.
War die Datenbeschaffung daher einfacher? Was waren einige der größten Hürden?
Die Daten sind sicher nicht einfach zu beschaffen, aber wir haben schon seit 15 Jahren bei unseren eigenen Maschinen jede mit Zählern versehen. Daher wissen wir bei uns selber ganz genau, was läuft.
Wir haben ein Netzwerk von Dauerlieferanten; das sind immer dieselben und jeder hat eine bestimmte Technologie. Alles, was wir in der Technologie brauchen, läuft über den Partner. In der Coronazeit war es so, dass wir teilweise Aufträge vorziehen und so Fabriken auslasten konnten, das waren keine schlechten Jahre. Da haben wir viel Vertrauen aufgebaut und deshalb haben die wichtigsten Partner dann auch bei der Analyse mitgemacht. Die Hauptproduktionsstelle ist ganz in der Nähe, die haben auch Ressourcen investiert (Personal) und Zähler installiert. Einige wenige Fabriken liefern nur Durchschnittswerte, das wirkt sich aber marginal aus. Insgesamt haben alle mitgemacht.
Und die Datenverarbeitung und Datensammlung?
Die ist natürlich komplex, das konnten wir alleine nicht schaffen. Vor daher haben wir mit dem IVGT (Industrieverband Veredelung – Garne – Gewebe – Technische Textilien e.V. (Anm.d.Red.) zusammengearbeitet. Dort arbeiten mehrere Umweltexperten in verschiedenen Bereichen, und einer hat sich speziell in die Ökobilanz-Software „Umberto“ eingearbeitet. Wir waren da Pilotkunde, der zweite genauer genommen, der das mit ihnen entwickelt hat. Das war eine gute Zusammenarbeit, so dass da auch Know-how beim IVGT gewachsen ist, um das weiterhin in der Branche zu verteilen.
Und die Grenzen - LCA (Life Cycle Assessment) muss man auch kritisch sehen, was kann so eine Ökobilanz und was kann sie nicht? Da gibt es Fragestellungen, die sind einfach nur über irgendwelche Datenbankwerte irgendwie hinterlegt, aber haben mit der Wahrheit wenig zu tun. Was meine ich damit? Wir können sagen ‘wir haben soundsoviele Kilowattstunden gebraucht, oder Joule/Megajoule’. Die sind zusammengesetzt aus einer bestimmten Prozentzahl Photovoltaik, Wasserkraft, Gaskraftwerk - das kann man aufschlüsseln. Die Daten hat man.
Aber was bedeutet jetzt eine Kilowattstunde Solar Fußabdruck gegen eine Kilowattstunde Wasserkraft, etc.? Da hören die Daten praktisch auf. Und das ist etwas, das mich als Ingenieur dann schon stört. Aber man muss sich dessen bewusst sein, dass die Daten, wenn man gleich arbeitet, vergleichbar sind, das ist verwertbar, das ist gut, aber dass es letztlich nur Modellergebnisse sind, wo auch Modellierungsangaben drin sind.
Werden diese Wert noch weiter aufgeschlüsselt?
(lacht) Das ist eine gute Frage. Also wenn es Nachfragen dazu gibt, können wir in die Tabellen gehen und die Zahlen dazu raussuchen, aber es sind riesige Exceltabellen mit Hunderten von Spalten für jedes Gewebe, das ist echter Wahnsinn. Wie macht man das Ergebnis sichtbar? Ich kann natürlich irgendeinen Aspekt herausstellen, aber was kommuniziert man?
Was wichtig ist, ist der Landbau - da ist Biolandbau den konventionellen Methoden überlegen. Eine Kilo Faser hat gebunden 1,53 Kilo CO2. Das ist eine chemische Formel, das kann man ganz einfach umrechnen, das ist immer so. Wenn wir nicht färben, sondern nur Naturfarben auswaschen, kommen wir bei den meisten Geweben noch zu einer Nettosenke beim Stoff.
Solche Ergebnisse helfen natürlich auch im Engineering und zwar, 'was mache ich für Produkte, was biete ich an?' Und man kann das in verschiedenster Weise dann später in seine Entscheidungen mit einfließen lassen: Also wir haben vor, das in unserem Onlineportal für Stoffe mal zu hinterlegen, Schritt für Schritt, das wird denk ich im nächsten halben Jahr passieren. Das ist eine Kapazitätsfrage. Und bei den Fertigwaren da haben wir schon Artikelpässe, da braucht es aber noch etwas Arbeit, um es beim Artikel gleich mitzugeben.
Fragen die Verbraucher:innen bereits nach diesen Informationen?
Überhaupt nicht. Wir werden jetzt aber auch sukzessive Mitteilungen herausbringen, so dass man merkt “Cotonea hat es”. Die Verbraucher können die Zahlen vielleicht noch nicht nachverfolgen und beurteilen, aber sie wissen, dass Cotonea sie hat und es kann. Und irgendwann werden andere Marken nachfolgen, das ist ganz sicher so. Und dann wird man sehen ‘aha, die Zahlen sind auch noch gut’. Wir wollen jetzt erstmal einen Denkprozess in Gang setzen.
Was eigentlich richtig wäre, wenn man die wahren Kosten, zum Beispiel Mikroplastikverschmutzung oder Wasserverschmutzung, wenn man diese Angaben nicht externalisiert, sondern am Produkt abbildet. Dann wäre das viel einfacher und viel besser darzustellen. Und was am Ende, wenn man tatsächlich immer neu kaufen will, wenn das der Wert ist, um gut gekleidet zu sein, dann ist qualitativ hochwertig zu kaufen, ohne Luxusmargen zu zahlen, mit Sicherheit günstiger als Fast Fashion zu kaufen.
Was muss geschehen, damit es die Verbraucher:innen mehr kümmert, was sie kaufen?
Sie dürfen nicht nur nach Preis kaufen. Die Wertigkeit der Produkte ist verloren gegangen. Wir haben jetzt gerade bei uns in der Gegend eine museale Ausstellung zum Wert des Textils. Baumwolle hat 1970 72 Cents pro Pfund gekostet. Was kostet sie heute? 72 Cents pro Pfund oder 75 - im Prinzip das gleiche, nominal. Aber der Dollar ist seit damals 95 Prozent weniger Wert, das heißt, die Farmer bekommen in realer Kaufkraft heute nur noch 5 Prozent von dem, was sie 1970 bekommen haben. Und dadurch ist ein enormer Druck auf die am Anfang der Kette stehenden Kleinfarmer entstanden - das sind ja Millionen, die davon leben und abhängen und nicht anständig bezahlt werden.
Es sind wenige große Konzerne, die das große Geschäft machen, und mit den Billigprodukten haben sie die gute Konkurrenz in die Luxusecke geschoben und mengenmäßig marginalisiert. Man muss in der Bevölkerung, primär durch die Medien und Markenbotschaften, den Wert dessen, was wir konsumieren deutlich machen und die Bedeutung für unseren Planeten. Meine Beobachtung ist: Wenn die Leute das hören, verstehen sie es auch.
Was mich dann ärgert ist, dass es auf der einen Seite Bemühungen in Europa gibt, in Richtung weniger schlimme Chemikalien, aber dann lässt man auf der anderen Seite zu, dass Unternehmen wie Temu und Shein Produkte per Flugzeug einfliegen, Hunderte Flugzeuge pro Tag nach Europa und in die USA, angeblich 300 Flugzeuge, auf jeden Fall Riesenmengen. Von 20 getesteten Produkten sind 17 durch sämtliche Richtlinien gefallen - eine Sandale ist nach vier Stunden Tragen kaputt gegangen. Warum darf sowas stattfinden? Verbraucher haben einen Befriedigungseffekt durch den Kauf, aber wo ist der Befriedigungseffekt, wenn man ununterbrochen neue Sachen kaufen muss, wenn die Sandalen nach vier Stunden kaputtgehen? Das ist sehr suchtartig.
Was ist die Lösung, die Produktion drosseln?
Nicht nur das - man muss auch gute Qualität anbieten. Wir haben eine Faserproduktion von 118 Millionen Tonnen gehabt, davon waren nur 25 Millionen Tonnen (plus minus) Baumwolle. Polyester hat seine Berechtigung in technischen Textilien, aber da ist der Verbrauch viel, viel kleiner. Wir könnten mit einem Drittel, vielleicht sogar noch weniger von unserem jährliche Faser-Neueinsatz dieselben Nutzungen und Verwendungen herstellen, wenn man nur diese Wegwerfmentalität überwinden würde.