Deutsche Modeunternehmen profitieren von Armutslöhnen in Rumänien
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Acht bis zehn Stunden schuften, dazu unbezahlte Zwangsüberstunden, Beleidigungen und Belästigungen am Arbeitsplatz, und das alles für nur 14 Prozent eines existenzsichernden Lohnes. Wer bei diesen Bedingungen an Bekleidungsarbeiterinnen in Ländern wie Bangladesch, Indien oder Pakistan denkt, muss gar nicht so weit schauen: Die sogenannten „working poor“ der Bekleidungsindustrie, also diejenigen, die trotz Vollzeitbeschäftigung arm bleiben, sind gleich im Vorgarten Westeuropas zu finden, in Rumänien, Europas wichtigstem Produktionsland, das eine halbe Million Menschen in fast 10.000 Bekleidungsfabriken beschäftigt.
Die Clean Clothes Campaign (CCC)/ Kampagne für Saubere Kleidung hat in ihrem neu veröffentlichten Länderprofil Rumänien Armutslöhne mitten in Europa offengelegt. Für den Bericht wurden umfangreiche Recherchen der letzten sechs Jahre, insbesondere 2017/18 ausgewertet. Die Zustände sind schockierend: Hier liegt der gesetzliche Mindestlohn bei nur 249 Euro, was 17 Prozent eines Lohns zum Leben ausmacht; Bekleidungsarbeiter und -arbeiterinnen bekommen noch weniger, nur 14 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns.
Näherinnen verdienen nur 14 Prozent des Existenzlohns
Und das, obwohl viele der deutschen und westeuropäischen Modemarken, die in Rumänien herstellen lassen, Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien sind, wie beispielsweise H&M, Aldi, C&A, Esprit, Gerry Weber, Hugo Boss und Primark. Auch Unternehmen mit Sitz in Deutschland wie Basler, Eugen Klein, Hucke, Marc Cain, Peter Hahn, René Lezard und ROFA lassen in Rumänien fertigen.
Das CCC-Länderprofil fand heraus, dass zwischen den Armutslöhnen in der Modeproduktion und der Arbeitsmigration vieler Rumänen in den Westen ein direkter Zusammenhang besteht. Außer der Trennung von Familien müssen die Betroffenen oft auch prekäre Jobs wie auf dem Bau oder im Schlachthof, als Erntehelfer oder Pflegekräfte hinnehmen.
Auch die Subsistenzlandwirtschaft blüht und, wie in Ländern wie Bangladesch, Indien oder Pakistan, das Ausgeliefertsein an Kredithaie mit Wucherzinsen von mehr als 15 Prozent. Die werden aufgenommen, wenn es nicht anders geht, wenn etwa eine ärztliche Behandlung ansteht oder Heizmaterial für den Winter gekauft werden muss.
„Modehäuser halten sich zugute, vor allem Frauen Arbeit und damit einen Weg aus der Armut zu geben. Unsere Recherchen zeigen jedoch, dass Arbeiterinnen und Arbeiter durch ihre Arbeit an der Mode für westeuropäische Marken arm werden. Sie müssen mit hohen Schulden und auseinandergerissenen Familien zurechtkommen“, fasst Bettina Musiolek zusammen, eine der Autorinnen des Berichts.
Wie auch in asiatischen Produktionsländern gilt, dass es falsch wäre, sich als Auftraggeber von Rumänien abzuwenden und sich nach einem Standort mit besseren Bedingungen umzusehen. Vielmehr heißt es, sich für langfristige Veränderungen einzusetzen: „Keine dieser einflussreichen Modehäuser hat sich gegen Armutslöhne, Gesetzes- und Menschenrechtsverstöße in Rumänien wirksam eingesetzt. Es ist höchste Zeit, dass auf EU-Ebene verbindliche menschenrechtliche Standards eingeführt werden. Es gibt eine tiefe Kluft in Europa. In einem Teil des Kontinents – vor allem in Westeuropa – sind gesetzliche Mindestlöhne armutsfest, in einem anderen Teil liegen gesetzliche Mindestlöhne sogar unter der Armutsgrenze, die die EU selbst berechnet“, stellt Musiolek fest.
Die Clean Clothes Campaign fordert die EU deshalb auf, eine europäische Mindestlohnpolitik einzuführen und somit ihre eigene „Säule sozialer Rechte“ ernst zu nehmen: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf eine gerechte Entlohnung, die ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. (…) Armut trotz Erwerbstätigkeit ist zu verhindern“ heißt es schließlich in Kapitel II, 6.
Foto: Clean Clothes Campaign