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Primark in Deutschland: Prügelknabe oder Prophet?

Von Simone Preuss

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Einzelhandel |HINTERGRUND

Gestern eröffnete der irische Textildiscounter Primark eine zweite Filiale in der Stuttgarter Innenstadt und sah sich einem verhaltenen Andrang von Kunden und Protesten gegenüber. Warum wird die Eröffnung von H&Ms achter Marke Arket in München stillschweigend hingenommen, während Primark als Prügelknabe der Fast-Fashion-Anbieter herhalten muss? FashionUnited hat verschiedene Meinungen zusammengestellt.

Um 10 Uhr sollte Primarks erstes Stuttgarter Geschäft in der Königsstraße 27-29 im ehemaligen Karstadt-Gebäude eigentlich eröffnen, tatsächlich öffneten sich die Türen fast eine Stunde früher. Offiziell wollte Primark damit dem auf die Königstraße verlegten Wochenmarkt nicht ins Gehege kommen; inoffiziell umging der Konzern so frühe Protestaktionen.

„Billige Ware durch Hungerlöhne, Kinderarbeit, brutale Behandlung und Regeln der Arbeitskräfte“ fasste ein Plakat die Vorwürfe gegen Primark zusammen, der als Vertreter des Fast-Fashion-Konzepts den Kopf hinhalten muss. Der Betreiber des Kaufhauses Mitte im Königsbau und das Café „Mission Coffee“ gingen einen Schritt weiter und forderte reuige Primark-Kunden auf, die gekaufte Ware in eine Mülltonne vor ihren Läden zu werfen. Den Gegenwert der Artikel wollte der Betreiber des Kaufhauses Mitte dann aus eigener Tasche bestreiten und karitativen Zwecken zukommen lassen.

Dass die Vernichtung guter Ware aber keine Lösung ist, hat sich jüngst in der Debatte um H&M gezeigt: Der Konzern muss sich Vorwürfen stellen, jährlich mindestens 12 Tonnen neuer Ware zu verbrennen, was zu ungläubigem Kopfschütteln nicht nur der Verbraucher geführt hat.

Billigware oder ein Schritt in die richtige Richtung?

Bei Primark gibt man sich dialogbereit. Primark Deutschland-Chef Wolfgang Krogmann, der persönlich keinen Sinn für Wegwerfmentalität hat, betont, dass Primark-Produkte so gemacht werden, um lange zu halten und dass die günstigen Preise des Textildiscounters aufgrund der hohen Stückzahlen und den Verzicht auf Werbung aufrechterhalten werden könnten, nicht durch die Ausbeutung der Arbeiter. „Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die wir beauftragen, haben sich verbessert“, erklärte er laut der Stuttgarter Nachrichten und fügte hinzu, dass es auch Fabriken gäbe, in denen die Arbeitsbedingungen schlecht seien, dass Primark dort aber nicht fertigen lasse.

Citymanagerin Bettina Fuchs verwies auf Menschen mit geringerem Einkommen; auch diese hätten „den Anspruch und das Recht, sich modisch zu kleiden“. Zudem sieht sie die Eröffnung einer Primark-Filiale als Bereicherung der Innenstadt: „Primark ist eine Aufwertung für die Anrainer. Das wird sich nicht zuletzt bei der langen Einkaufsnacht auswirken“, findet sie.

Die neue Filiale an der Königstraße erstreckt sich über fünf Etagen und 8000 Quadratmeter und ist damit doppelt so groß wie die im Milaneo. Beide sollen Seite an Seite betrieben werden, wobei am neuen Standort Verbesserungen vorgenommen wurden: Es gibt mehr Kassen, mehr Umkleidekabinen und mehr Sitzecken, die zum Verweilen einladen. Die rund 440 Mitarbeiter der neuen Filiale, von denen 84 in Vollzeit arbeiten, wurden laut Krogmann „in 600 Stunden zu ethischen Grundsätzen“ geschult.

Was Primark allerdings von anderen Marken und Einzelhändlern unterscheidet, ist, dass der Konzern bis jetzt wenig Werbung für seine Nachhaltigkeitsbemühungen gemacht hat. Nach dem Motto „lieber tun statt werben“ hat der Discounter stillschweigend verschiedene Anstrengungen unternommen, wie eine exklusive Fallstudie von FashionUnited zeigte, und wird damit in einigen Bereichen zum Vorreiter der Branche. So gehörte das Unternehmen zu den ersten Einzelhändlern, die das Abkommen zu Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch unterzeichneten, das von IndustriALL und UNI Global Union ins Leben gerufen wurde. Zudem hat das Unternehmen ein Programm zur strukturellen Überprüfung von Gebäuden in Bangladesch eingeführt, um die Standsicherheit der Fabriken beurteilen zu können, in denen es herstellen lässt.

Der Einzelhändler hat sich auch verpflichtet, sowohl kurz- als auch langfristig finanzielle Entschädigung für die Betroffenen des Rana Plaza-Einsturzes zu leisten und hat konkret bis jetzt insgesamt 14 Millionen US-Dollar gezahlt - 11 Millionen davon an die bei seinem Lieferanten New Waves Bottom beschäftigten Arbeitnehmer und ihre Familien. Zudem startete Primark das „Pashe Achi-Projekt“, um sicherzustellen, dass die Entschädigungsempfänger Zugang zu ihrem finanziellen Ausgleich erhalten und sich über ihre Rechte im Klaren sind.

Aber Primark ist nicht nur in Bangladesch für Arbeiter aktiv: Derzeit beschäftigt der Textildiscounter als Teil seines Ethical Trade Teams über 80 Fachleute, die sich um Nachhaltigkeit, ethische Mode und Schulungen der Arbeiter kümmern. Diese Teams in den neun wichtigen Beschaffungsstandorten wie China, Indien, Bangladesch und der Türkei, fungieren als „die Augen und Ohren des Einzelhändlers vor Ort“, so Katharine Stewart, Primarks Direktorin für ethischen Handel, Umwelt und Nachhaltigkeit.

Seit Jahren ist Primark auch mit dem Förderprogramm für nachhaltige Baumwollle aktiv, das erst jüngst ausgebaut wurde, durch das Primark mit CottonConnect und der Selbstständigen Frauenvereinigung (SEWA) zusammenarbeitet, um über 11.000 Baumwollbäuerinnen in Indien zu unterstützen. Der irische Discounter scheint aus seinen Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben und hat angefangen, seine Nachhaltigkeitsbemühungen publik zu machen.

„Vorher, als wir nichts sagten, glaubten die Leute, dass wir überhaupt nicht nachhaltig seien, dass wir nur versuchen würden, uns durch die Kommunikation damit abzufinden“, erklärt Stewart. „Es ist nichts Neues, die Geschäfte laufen wie üblich und wir haben es schon lange so gemacht. Aber jetzt fragen uns unsere Kunden danach, also reden wir auch mehr darüber ... vor allem jetzt, wo unsere Kunden älter werden, wollen sie mehr wissen.“

Bleibt zu hoffen, dass Primark dabei bleibt. Bis dahin sind Verbraucher gut damit bedient, sich genauestens über die Marken und Einzelhändler zu informieren, deren Kleidung sie kaufen. Dies kann über aktuelle Nachrichten wie über die sozialen Medien erfolgen und sollte mit dem eigenen individuellen Eindruck ein Bild vermitteln, das akkurat genug ist, um eine Kaufentscheidung zu treffen.

In Deutschland wird Primark zumindest Teil des Stadtbilds bleiben, hat der Textildiscounter doch vor, allein in den nächsten zwölf Monaten vier weitere neue Geschäfte in Bielefeld, Münster, Ingolstadt und München zu eröffnen. Seit seinem Einstieg in den deutschen Markt vor acht Jahren hat das irische Unternehmen 22 Filialen eröffnet und dafür einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag investiert. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, bekräftigte Krogmann im Oktober.

Fotos: Primark Facebook, Primark
Nachhaltigkeit
Primark