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Neue deutsche Mode: Sorgt die Next Gen für Aufwind?

Von Ole Spötter

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Mode
Ottolinger FW24 Bild: ©Launchmetrics/spotlight

Die Zeiten, in denen große Namen wie Kaiser Karl und Jil Sander das “deutsche Design” auf den internationalen Modewochen repräsentiert haben, sind vorbei. Lange schien es etwas ruhig um “die Deutschen”, doch nun sucht eine neue Generation das internationale Rampenlicht.

Modelabels wie GmbH und Ottolinger haben durch ihren Mix aus sportlicher Streetwear, Spiel mit Silhouetten und Gendernormen bereits ihren Platz auf den großen Bühnen gefunden. Aber auch – noch – unbekanntere Marken machen unter dem Label “Neudeutsch” gerade erste Schritte außerhalb Deutschlands.

Zwar fühlt sich der Großteil von ihnen in der deutschen Hauptstadt wohl – dabei hilft es auch, dass die heimische Berliner Modewoche wie die lokale Techno-Szene an internationaler Beliebtheit gewinnt – aber auch aus allen anderen Regionen tauchen neue Namen auf, die durch ihre Unterschiede geeint werden. Sie spielen nicht mehr nach den alten Regeln, experimentieren mit neuen Formen und arbeiten auch nachhaltiger – ohne es sich explizit auf die Fahne zu schreiben.

Es kommen politische Themen wie Selbstbestimmung und die Definition von Heimat mit Individualität und eigener Ästhetik zusammen, die die Grenzen der “deutschen Mode” öffnen und zugänglicher für verschiedene Schichten werden. Junge Labels wie Kitschy Couture, Marie Lueder, Marke und SF10G sind nur einige der Namen, die beweisen, welches Potenzial hier aufeinander trifft und sich nicht nur internationaler aufstellt, sondern auch die Modewelt zur Berliner Modewoche lockt.

Berlin, Berlin

Zwar ist Kanye West aka Ye nach seinen jüngsten Skandalen vielleicht nicht der beste Vorzeige-Gast. Dennoch beweist das Großaufgebot des US-Rappers bei der ‘Anonymous Club’-Modenschau seines Landsmannes Shayne Oliver, dass das Programm der Berliner Modewoche auch bei internationalen Gästen ankommt. Dort übernahm er samt Securities und Gefolge eine eigene Tribüne und den halben Backstage-Bereich – natürlich mussten auch die restlichen Gäste auf den maskierten Künstler warten.

Die Show war Teil des Konzepts “Intervention” der Berliner PR-Agentur Reference Studios. Neben Oliver, der Berlin als zweite Heimat für sich entdeckt hat, waren hier auch große Marken mit dabei. Bei einer Rework-Session des italienischen Outerwear-Spezialisten C.P. Company bastelte neben den Locals auch Stavros Karelis, Gründer des britischen Luxusmodehändlers Machine-A. Der Schuhanbieter UGG war derweil Partner der Intervention Closing-Party. Zur Musik der britischen Künstlerin Shygirl feierten Berühmtheiten wie der italienische Modedesigner Stefano Pilati, der auch schon die kreative Leitung bei Yves Saint Laurent innehatte, Fußballprofi David Alaba oder das GmbH-Duo Benjamin Alexander Huseby und Serhat Isik zusammen mit den Berliner Cool-Kids.

Sind internationale Modewochen der Schlüssel zum Erfolg?

Die GmbH-Macher, die zeitweise auch die kreative Leitung des italienischen Modehauses Trussardi innehatten, waren auch Teil von Intervention. Sie gehören neben Ottolinger wohl zu den aktuell bekanntesten “deutschen” Designer:innen-Marken und zeigten bis zu diesem Sommer noch nie in Berlin.

Beide Marken sind in Berlin beheimatet, sind aber in der Regel ein fester Bestandteil der Pariser Modewochen. Cosima Gradient und Christa Bosch, die Schweizerinnen hinter Ottolinger, erlangten allerdings erste Bekanntheit, als sie 2016 ihre Kollektion bei der Nachwuchs-Show Vfiles während der New Yorker Fashion Week zeigten. Aber auch das Berliner Magazin 032C, das erst als Printmedium international bekannt wurde und dann 2020 seine eigene Ready-to-Wear-Kollektion lancierte, präsentiert seine Mode lieber in der französischen Hauptstadt. Denn die Pariser Modewochen sind der traditionelle Treffpunkt für Marken mit Presse und den relevanten Einkäufer:innen.

V.l.n.r.: GmbH und 032c (SS25), Ottolinger (FW24) Credits: ©Launchmetrics/spotlight

GmbH sieht darin auch das Erfolgsrezept: „Die meisten talentierten Designer:innen aus Deutschland scheinen im Ausland erfolgreicher zu sein, was vielleicht ein Zeichen ist.” Dennoch freuen sie sich über die Bemühungen der Berlin Fashion Week, international relevanter zu werden. Dabei sei es besonders wichtig, dass die Modewochen die Designer:innen in den Mittelpunkt und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, anstatt sie als Marketinginstrument zu nutzen, so die GmbH-Macher.

Unter den teilnehmenden Marken in Berlin war in dieser Saison auch die gebürtige Hamburgerin Marie Lüder, die Modedesign an der renommierten Kunstschule Central Saint Martin studiert hat und seitdem in London ansässig ist. Sie beschreibt die Ausgabe als “unglaublich spannend und vielfältig”. Sie habe besonders die Kombination aus interessanten Locations und individueller Handschrift der Marken überzeugt. Gerade für aufstrebende Marken, die andernorts meist an denselben Locations mit ähnlichen Laufstegen präsent sind, sei dies besonders, so die Gründerin der Marke Lueder.

Ihre eigene Kollektion, in der sie lässige Streetwear mit mittelalterlichen Charakteren zusammenbringt, zeigte sie in einem runden Saal der Veranstaltungslocation Tempodrom, die ihre Ursprünge im Zirkus hat.

Lueder SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Dieses internationale Flair will die Berliner Agentur, die mit einem Showroom in Mailand und einem geplanten Büro in Paris gut vernetzt ist, auch in Zukunft ihrer Heimat bieten und das mit hochgesteckten Zielen. Man wolle mit der Berliner Modewoche London übertreffen und als langfristiges Sprungbrett für aufstrebende Designer:innen agieren, so Tim Neugebauer, Creative Lead bei Reference Studios im Interview.

Unterstützung gibt es dafür vom Berliner Senat für Wirtschaft, Energie und Betriebe, der in verschiedene Projekte investiert und dadurch auch Designer:innen fördert. „Diese langfristige Förderung hilft den Brands beim Wachstum”, so Lüder, die mit dem vom Senat finanzierten ‘Berlin Contemporary’-Preis ausgezeichnet wurde. „Berlin ermöglicht es den Labels, nicht nur ihre Arbeit im Rahmen einer Modenschau zu präsentieren, die in erster Linie die Modewoche selbst repräsentiert, sondern unterstützt sie auch in ihrer finanziellen Nachhaltigkeit.”

Der Senat hilft dabei auch dem Fashion Council Germany (FCG), der sich mit solchen Projekten und internationalen Besucher:innen bemüht, die Berliner Modewoche zu pushen. Gerade internationale Influencer:innen und Modexpert:innen wie Hanan Besovic geben den lokalen Marken auch eine digitale Bühne. In seinen Videos von der Berliner Modewoche stellte er unter anderem einige Abschlusskollektionen von Modestudierenden beim Neo.Fashion-Format vor und gab einen tieferen Einblick in die detailreichen Mäntel der Marke Milk of Lime. Das in Neustadt an der Weinstraße ansässige Label lässt sich von natürlichen Materialien inspirieren und bringt sein ländliches Umfeld mit einem urbanen Blickpunkt zusammen.

So schnell kann eine gerade noch kleine Marke auch international bekannt werden. Dem Modekritiker folgen auf seinem Instagram-Account “ideservecouture”, durch den er bekannt ist, weltweit mehr als 360.000 Menschen. Zu seinen Follower:innen gehören auch Alaïa-Designer Pieter Mulier, Balmains Kreativchef Oliver Rousteing sowie Matthieu Blazy, Creative Director von Bottega Veneta.

Kann Berlin wirklich mithalten?

Auch wichtige Einkäufer:innen wie Eshaan Dhingra vom Londoner Luxusmodehändler LN-CC waren zuletzt bei der Berlin Fashion Week. Er sieht großes Potenzial für deutsche Brands auf dem internationalen Markt, erklärt er im Interview. Neben GmbH und Lueder zählt er auch noch Sia Arnika zu seinen Highlights der Modewoche. „Ich sehe großes Potenzial für deutsche Brands auf dem internationalen Markt. Besonders in Berlin gibt es eine starke Ästhetik und ein bestimmtes Feeling, die eng mit den Brands verbunden sind, die diese Stadt ihr Zuhause nennen.”

Für die Berliner Modewoche sehe er jedoch Schwierigkeiten mit den großen Modemetropolen zu konkurrieren, da Buyer und Pressevertretende mit gekürzten Reisebudgets auskommen müssten und sie weniger reisen. Der Besuch in Berlin sei für ihn daher auch nur durch den FCG und die Modewoche möglich gemacht worden, die ihm das Potenzial gezeigt habe, was in Deutschland steckt.

Der deutsche Modeverband holt sein internationales Netzwerk aber nicht nur nach Berlin, sondern sorgt mit dem Senat auch dafür, dass besonders Berliner Marken sich international vernetzen. So organisiert der FCG seit dem vergangenen Jahr Delegationsreisen für lokale Marken nach New York – und ab 2025 auch nach Seoul – um sich mit den lokalen Branchenvertretenden zu vernetzen und die Expansion der Marken voranzutreiben.

Julian Daynov (rechts) im Austausch mit CIFF-Chefin Sofie Dalva (links) und Pascal Hector, deutsche Botschafter in Dänemark (Mitte) bei Neudeutsch Credits: Alexander Fischer

Nährboden für Design

Neudeutsch ist ein anderes Format, das sich bemüht deutsche Designer:innen international zu präsentieren. Das vom Trendexperten Julian Daynov kuratierte Format präsentierte sich erstmals im Januar auf der Pitti Uomo. Nach einem positiven Feedback bei der florentinischen Herrenmodemesse entwickelte sich das Format, das in Deutschland ansässige Marken präsentiert und ihnen besonders bei ihrem kommerziellen Wachstum helfen soll, zu einem Wanderkonzept.

Die zweite Ausgabe fand nun Anfang August bei der Kopenhagener Modemesse CIFF mit noch mehr Marken statt. In Zukunft wolle man wieder in Florenz, aber auch bei anderen internationalen Messen vertreten sein, erklärte Daynov. So hätten sich auch schon Messeveranstaltende aus dem asiatischen Raum bei ihm gemeldet. Dadurch kann Neudeutsch seine Designer:innen einem breiten Publikum von “ästhetischen Entscheidungsträger:innen und Geschäftsmogulen” präsentieren, die zu ihrem kommerziellen Erfolg beitragen können.

„Es ist sehr befriedigend zu sehen, wie einige der einflussreichsten Inkubatoren für wirklich große Modeunternehmen – Messen wie die CIFF und die Pitti Uomo – das schätzen und würdigen, was zeitgenössisches deutsches Design als Anspruch und ästhetische Signatur in den globalen Lifestyle-Einzelhandelsmarkt einbringt”, so Daynov gegenüber FashionUnited. „Oft als ‘Underdog’ wahrgenommen, genießt es nun die internationale Aufmerksamkeit und Bestätigung, die wir ihm lokal nie sichern konnten.”

Lookbook-Bilder – Neudeutsch x CIFF vertretende Marken (v.l.n.r.): Marke, SPSR, Society Angelique und International Citizen Credits (v.l.n.r.): Marke, SPSR, Society Angelique und International Citizen

Deutsches Design scheint also international viel besser wahrgenommen zu werden, als es auf dem heimischen Markt geschieht. Hierzulande entstehe schnell ein “relativ bürgerliches Bild” mit dem Sortiment von Einzelhändler:innen wie Karstadt und Peek & Cloppenburg sowie Funktionsmode, so Neugebauer. Um als deutsche Marke allerdings international durchzustarten, ist es halt nunmal viel wichtiger, wie diese dort wahrgenommen wird. So habe man in Japan von ‘Made in Germany’ ein ganz anderes Bild als in Deutschland, erklärt der Creative Lead bei Reference Studios. „Es ist schon immer ein Nährboden für Design gewesen.”

Daynov, der einst selbst als Einkäufer für das US-amerikanische Luxuskaufhaus Saks Fifth Avenue aktiv war, ist sich sicher, dass durch Projekte wie Neudeutsch in Deutschland selbst ein Wandel angetrieben wird. Die Modebranche, aber auch Konsument:innen werden dadurch animiert, sich mehr für lokales Design zu begeistern. Für ihn mangelt es dem deutschen Design nicht an Talent, sondern eher an “guter PR” – einer der Gründe, warum er das Format ins Leben gerufen hat und den aufstrebenden Designer:innen aus der Mode und anderen Bereichen diese internationale Bühne bietet.

'Neudeutsch'-Format bei der CIFF Bild: Alexander Fischer

„Inzwischen sollten wir alle gelernt und erkannt haben, dass der Aufbau von Communitys und das Angebot von offenem Austausch, Synergieeffekten und echter Unterstützung so viel mehr ermöglicht, als sich abzuschotten, geheimnisvoll zu sein und nur im eigenen Saft zu schmoren”, so Daynov.

Sichtbarkeit und Erfolg würden hauptsächlich durch nicht-organisch erzeugte Popularität und Einfluss bestimmt, so der Trendexperte. Daher sei es entscheidend, Kräfte rund um diejenigen zu bündeln, die das Talent und die Vision haben,“um ins Rampenlicht großer Player, großer Anerkennung, großer Nachrichten, großer Erfolge und hoffentlich großer Gewinne zu gelangen.”

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