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Beschaffung: Was tut sich in der Türkei?

Von Simone Preuss

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Zwischen Europa und Asien gelegen, nimmt die Türkei eine wichtige Brückenfunktion ein; geografisch ebenso wie beschaffungstechnisch. Für die Bundesrepublik Deutschland ist die Türkei seit Jahren einer der wichtigsten Handelspartner, wobei sich die Importe aus dem Land in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt haben. Textilien und Bekleidung führen weiterhin den Import nach Deutschland an, womit die Türkei als Beschaffungsland in unmittelbarer Nachbarschaft eine wichtige Stellung einnimmt. Grund genug für FashionUnited, die Entwicklungen der letzten Jahre nachzuzeichnen.

Aktuell müssen sich die Modemarken Zara, Next und Mango Vorwürfen stellen, türkische Bekleidungsarbeiter im Stich gelassen zu haben, nachdem ihre Fabrik Bravo Tekstil in Istanbul im Juli letzten Jahres plötzlich schließen musste. Drei Monatslöhne und Abfindungen der 140 Mitarbeiter stehen noch aus; insgesamt rund 650.000 Euro. Die drei Marken sind gerade einmal bereit, ein Viertel der Summe zu zahlen, obwohl allein Zara 75 Prozent der Aufträge von Bravo ausmachte. Jetzt kam es zum Stillstand, so dass sich die verzweifelten Arbeiter an die Öffentlichkeit und die Verbraucher wenden.

Im Juli dieses Jahres löste ein einfaches, weißes T-Shirt eine Welle von Festnahmen in der Türkei aus. 15 Menschen wurden verhaftet, nur weil sie ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck "Hero" vor einem schwarzen Hintergrund und der Unterschrift "Heroes are immortal" trugen. Die türkischen Behörden argumentierten, dass das T-Shirt eine versteckte Nachricht und Unterstützung für den Drahtzieher des Putschversuchs am 15. Juli letzten Jahres, Fethullah Gulen, sei. Diese Maßnahme löste weltweit Empörung aus.

Türkische Modebranche investiert in neue Märkte

Das Jahr 2016 startete unternehmerisch, zog es türkische Modemarken nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen in den Iran, um sie einem neuen Markt von 80 Millionen potenziellen Kunden auszusetzen. Den Auftakt machte die türkische Bekleidungsmarke D'S Damat am 19. Januar mit einem Flagshipstore an Teherans beliebter Einkaufsstraße Mirdamad. Auch der türkische Einzelhändler Mudo und die United Brands Association (BMD), eine in Istanbul ansässige Dachorganisation von mehr als 500 renommierten türkische Marken und Einzelhändlern, zeigten sich interessiert.

Im Jahr 2015, als sich die Situation in Syrien zuspitzte und ihre Auswirkungen auf die Textilindustrie deutlich wurden, machten sich auch Bedenken über „Conflict Cotton“ breit, also Baumwolle, die die terroristische Organisation Islamischer Staat (IS) mitfinanziert. Angesichts der Flüchtlingsströme in Europa musste sich die Branche auch Gedanken über syrische Flüchtlingskinder machen, die in türkischen Bekleidungsfabriken als billige Arbeitskräfte auftauchten, aber auch erwachsene Bekleidungsarbeiter aus Syrien mussten ihre Situation in türkischen Fabriken erst klären.

Ende Januar 2015 gab der türkische Textilkonzern Eroglu bekannt, die niederländische Modekette Mexx, die im Dezember 2014 Insolvenz angemeldet hatte, übernommen zu haben und Dutzende Filialen in Europa neu eröffnen zu wollen.

Äthiopien, von einigen aufgrund extrem niederiger Löhne und einer großen, jungen Arbeiterschaft als a href=" https://fashionunited.de/nachrichten/business/wird-a-thiopien-das-neue-bangladesch/2015071418478" target=" _self">neues Bangladesch bezeichnet, zog im Jahr 2014 Investoren an, unter anderem die Ayka Addis Textile & Investment Group, eine Tochtergesellschaft des Istanbuler Unternehmens Ayka Textile. Sie plante, eine Milliarde äthiopische Birr (37,6 Millionen Euro) in die Expansion seiner bestehenden Produktionseinheit in Alem Gena, 19 Kilometer von Addis Abeba entfernt, zu investieren. Auch Tesco und H&M setzen auf das Land und starteten mit der Schulung äthiopischer Bekleidungsarbeiter.

Die türkische Firmengruppe Anka Textil sorgte im April 2013 in Deutschland für Aufregung, nachdem sie ankündigte, Mönchengladbach zum zentralen Umschlagplatz der türkischen Modeindustrie in Europa machen zu wollen. Sie fing zunächst mit einem Showroom an und gründete dann die Tochtergesellschaft Anka Textil Europa GmbH. Zu einer geplanten permanenten Textilmesse mit Hunderten von Ausstellern kam es allerdings nicht.

Türkei bleibt wichtiges Beschaffungsland

Im Juli 2011 führte die Türkei erste türkische H&M-Filiale im Forum Istanbul eröffnen zu wollen. Inzwischen betreibt das Unternehmen Dutzende von H&M-Filialen im gesamten Land.

Während das Modeland Türkei sich im Jahr 2010 noch verstärkt auf Design statt Produktion konzentrieren wollte, machten die Ereignisse in sogenannten Billiglohnländern wie Bangladesch, Indien und Pakistan diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung beziehungsweise gaben der Türkei als Beschaffungsland erneut Auftrieb. Der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes in Bangladesch und Fabrikbrände in Pakistan und Indien richteten die Aufmerksam etlicher (europäischer) Auftraggeber wieder auf die Türkei, ein Beschaffungsland, das nicht 100 Prozent sicher, aber zumindest geografisch näher ist.

Gerade als Denimproduzent hat sich die Türkei einen guten Ruf verschafft, weshalb zum Beispiel der Denim-Hersteller Vicunha Europa , der seit 2007 seine Produktionskapazitäten im Ausland erhöht, 2008 seine Produktion um einen Standort in der Türkei erweiterte. „Die Türkei zählt zu den wichtigsten und gefragtesten Denimproduktionsländern. Wir freuen uns sehr darüber, dort einen erfahrenen und etablierten Experten als Partner gefunden zu haben“, kommentierte Geschäftsführer Thomas Dislich.

Wie man sieht, bleibt die Türkei auch weiterhin ein wichtiger Handelspartner und ein wichtiges Beschaffungsland für die deutsche und europäische Modebranche. Wie sich die Expansion der türkischen Bekleidungsindustrie auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Fotos: Business and Human Rights Resource Centre (BHRRC) / FashionUnited
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