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Blockchain-Start-up Retraced: „Unsere Aufgabe ist zu zeigen, dass Transparenz sich lohnt"

Von Simone Preuss

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Business |INTERVIEW

Der Aufstieg des Düsseldorfer Blockchain-Start-ups Retraced war rasant: Im Oktober 2018 gegründet, und gut ein Jahr später schon den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Im Krisenjahr 2020 konnte Retraced 40 Modeunternehmen für sich gewinnen (darunter Armedangels und ErlichTextil) und startete das Jahr 2021 mit einer Seed-Finanzierung von einer Million Euro vom spanischen Wagniskapitalgeber Samaipata.

Mit dem Geld soll die technische Entwicklung weiterer, nutzerfreundlicher Funktionen der digitalen Plattform finanziert werden ebenso wie die Akquise neuer Modeunternehmen. FashionUnited sprach mit Retraced-Mitbegründer und CEO Lukas Pünder über die Zukunftspläne des Start-ups, das Jahr 2020 und die Entwicklung der Modebranche.

Foto: Retraced-Mitbegründer Philip Mayer, Peter Merkert und Lukas Pünder auf dem Blockchain Summit im Februar 2019

Herr Pünder, wir sprachen bereits im Dezember 2019 im Interview miteinander. Damals hatten Sie noch das Gefühl, dass die Annahme von Retraced in der Branche etwas zögerlich vonstatten ging, da Transparenz noch ein „Nice to have” war und Sie viel Überzeugungsarbeit leisten mussten. Mehr als ein Jahr und eine Pandemie später sieht die Lage sichers anders aus.

Das ist richtig. Damals mussten wir noch oft erklären, wie man als Marke Transparenz zum Verbraucher kommunizieren kann und so Vertrauen schafft und wie sich das auch wirtschaftlich auszahlt. Wobei das eigentlich erst der zweite Schritt ist. In einem ersten Schritt arbeiten Unternehmen an der internen Transparenz, definieren sie für sich als Marke und wenden sie auf ihre Lieferkette, Compliance und Nachhaltigkeitsbemühungen an. Zum digitalen Nachhaltigkeitsmanagement gehört, Anforderungskataloge zu definieren, etwa dass alle Lieferanten den Code of Conduct unterschreiben müssen, faire Löhne zahlen, et ce­te­ra. Das wird festgehalten und man sieht sofort, wie viel man geschafft hat.

Auf diese Weise nutzt etwa die Hälfte der 40 Unternehmen unsere Plattform intern und wird dann im zweiten Schritt dies an ihre Kunden kommunizieren. Erstmal muss man also intern aufräumen. Inzwischen ist Transparenz jedoch ein Must-have, da die Verantwortung an Marken und damit auch ihre Anforderungen steigen.

Hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit schwieriger gemacht?

Das Thema Transparenz und Nachhaltigkeit sind wirklich weiterhin wichtige Themen in der Mode. Man merkt bei vielen Brands, dass sie daran arbeiten möchten. Allerdings merkt man auch, dass viele Brands durch Corona wirtschaftliche Sorgen haben, die sie davon abhalten, intensiv an Transparenz oder Nachhaltigkeit zu arbeiten.

Im letzten Jahr gab es sicher viel Auf und Ab. Der Lockdown im April/Mai/Juni war schwieriger, da er viele Marken und Einzelhändler ziemlich unvorbereitet traf. Wir arbeiten viel mit jungen Marken zusammen, von Start-up zu Start-up; Marken, die schon auf die Digitalisierung setzen und so während der Krise weniger Probleme hatten als der traditionelle Einzelhandel etwa. Aber auch Retail Brands sind im Austausch mit uns; sie wollen Transparenz kennenlernen und auf die eigenen Probleme anwenden.

Bei den Kunden, die bereits auf Transparenz setzen, hat sich durch Covid-19 nicht viel verändert. Sie wussten, wo sie produzieren, konnten direkt beim Lieferanten nachfragen und entsprechende Lieferungen anpassen. Sie konnten auch auf die Bedürfnisse der Lieferanten eingehen, etwa eine Reduzierung der Produktionskapazitäten durch Arbeitskräftemangel und Lockdowns. Trotzdem gab es kaum Lieferschwierigkeiten, da man kommunizieren konnte. Das haben wir auch bei unserer eigenen Marke Cano festgestellt. Da haben wir zum Beispiel im letzten Jahr im September schon die Sommerkollektion bestellt, da wir wussten, dass die Kapazitäten reduziert worden waren und die Produktion deshalb länger dauern würde. So gab es Planungssicherheit auf beiden Seiten.

Bei unserem letzten Gespräch hatten Sie auch noch etwas damit zu kämpfen, dass nicht alle Branchenteilnehmer ihre Quellen preisgeben wollten – bei wem sie herstellen lassen zum Beispiel. Ist das immer noch der Fall?

Geheinmiskrämerei gibt es immer, aber inzwischen sehen Unternehmen auch den Vorteil, wenn sie ihre Informationen und Erfahrungen zu Lieferanten miteinander austauschen. Wir haben zum Beispiel drei Kunden, die denselben Lieferanten in der Türkei benutzen, und der Informationsaustausch macht Prozesse schneller und effizienter, da der Lieferant zum Beispiel nicht alles dreimal sagen muss, sondern alle über die Plattform zentral kommunizieren können. Da entstehen einfach wunderbare Synergien. Wir schaffen Wert nicht nur für die Marken, sondern auch die Lieferanten. Unser Ziel ist es, ein Netzwerk zwischen den einzelnen Unternehmen zu schaffen und künftig auch Zertifizierer zu erfassen.

Zudem ist es bei großen Unternehmen mit großen Auftragsvolumen kein Geheimnis, wo sie produzieren lassen, da es weltweit nicht viele Betriebe gibt, die bestimmte Mengenanforderungen erfüllen können. Außerdem muss die Information zumindest im ersten Schritt nicht mit dem Endverbraucher geteilt werden. Wir wollen auf jeden Fall sicherstellen, dass wenn jemand profitiert, andere auch profitieren können und wir haben festgestellt, dass Nachhaltigkeitsmanager da sehr kooperativ sind.

Gibt es konkrete Fallbeispiele? Unternehmen, die durch mehr Transparenz profitiert haben?

Auf jeden Fall. Da gibt es zum einen Boyish Jeans in Los Angeles. Die Marke für nachhaltige Damenjeans wollte zum Beispiel herausfinden, wo ihr Organic Cotton herkommt. Da haben wir geholfen, den gesamten Weg zu verfolgen – vom Stofflieferanten bis zum Garnhersteller. Jeder war kooperativ und über Transaktionszertifikate lässt sich belegen, wann welche Mengen bestellt und geliefert wurden. Dies wurde dann auch an die Verbraucher weitergegeben und es war interessant zu sehen, wie diese mit der Information umgingen: Die Conversion Rate von Klick zu Sale ist um 100 Prozent gestiegen, von 6 auf 12 Prozent.

Ein weiteres Beispiel ist Erlich Textil: Das nachhaltige Kölner Modelabel wollte sein Nachhaltigkeitsmanagement besser verstehen, also Anforderungen definieren, Prozesse streamlinen und schauen, inwieweit Lieferanten die Anforderungen erfüllen. Daraus ergab sich, welche Änderungen das Unternehmen braucht, um Zeit und Manpower zu sparen.

Kommt es auch vor, dass Lieferanten nicht den Anforderungen genügen und entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen?

Fast bei jedem Unternehmen muss man umstellen, das heißt, Lieferanten aus der Lieferkette herausnehmen. Fast jede Marke zieht daraus Konsequenzen, wenn Lieferanten nicht den Anforderungen entsprechen oder nicht genug Informationen preisgeben. Lieferanten werden feststellen, dass, wenn sie nicht transparent sind und zum Beispiel Rohstoffquellen nicht preisgeben, bestimmte Auftraggeber das nicht akzeptieren und sie nicht mehr benutzen werden. Dadurch fangen Lieferanten aber auch an umzudenken.

Stichwort Lieferkette: Was sagt Retraced zum Lieferkettengesetz?

Das ist sicher ein super erster Schritt. Deutschland hat sich damit als Vorreiter etabliert und ein Zeichen gesetzt. Man merkt, dass die Firmen es jetzt ernst nehmen, nachdem sie diesen Signaling Effect vom Staat bekommen haben. Dies ist sicher ein guter erster Schritt.

Auch kleinere Marken nehmen das Thema jetzt ernst, die Benchmark steigt und sie wollen nicht abgehängt werden, auch wenn sie vom Gesetz im Moment nicht betroffen sind. Natürlich hätte es tiefer in die Lieferkette hineingehen sollen, aber da werden sicher auch noch Änderungen und Anpassungen folgen.

Zum Schluß wollen wir natürlich wissen, wie es nach der Finanzspritze von einer Million Euro bei Retraced weitergeht.

Ja, das war eine gut Bestätigung für uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und dass jemand wie Samaipata in dem was wir tun, Wert sieht. Intern bedeutet dies Planungssicherheit für die nächsten eineinhalb Jahre.

Mit dem Geld wollen wir mehr Brands anwerben, mehrere Projekte starten und das Team vergrößern. Wir arbeiten zum Beispiel gerade mit fünf, sechs Marken gleichzeitig; mit einem kleinerem Team wäre dies nicht möglich. Wir werden zusammen den Marken neue spannende Funktionen entwickeln und weiter an der Plattform arbeiten. Diese sollen Marken dabei helfen, anhand realer Daten aus den Lieferketten bessere Entscheidungen zu treffen.

Transparenz heißt sicher, die richtigen Daten im richtigen Moment zur Verfügung zu haben und Verantwortung ins Boot zu holen. Bessere Qualität zu erzeugen, bessere Prozesse aufzustellen und herauszufinden, wo Bottlenecks sind und die Informationen aus dem nachhaltigen auf den kommerziellen Bereich zu übertragen. Unsere Aufgabe als Retraced ist zu zeigen, dass Transparenz sich auch wirtschaftlich lohnt.

Bilder: mit freundlicher Genehmigung von Retraced

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