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Ein Jahr später: Wie sieht es für Bekleidungsarbeiter und Zulieferer seit Beginn der Pandemie aus?

Von Simone Preuss

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Eine jüngst virtuell abgehaltene Podiumsdiskussion zur Einschätzung der Lage für Bekleidungsarbeiter und Zulieferer enthüllte, dass ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie nicht alles in der Modewelt im Lot ist. Untersuchungen zeigen, dass Bekleidungsarbeiter hungern, Marken große Rabatte auf neue Aufträge verlangen und die Löhne für Fabrikarbeiter sinken; all dies trotz des Versprechens der Branche, sich zu ändern und bessern.

Während wichtige Stimmen der Arbeitsrechtsbewegung und der #PayUp-Kampagne mit führenden Zulieferern und NGOs Stellung bezogen, nahm kein einziger Vertreter einer internationalen Modemarke oder eines Einzelhändlers an der Diskussion teil. Dies lag nicht etwa an einer fehlenden Einladung - in der Tat kontaktierten die Organisatoren alle wichtigen Akteure der Branche - aber diese glänzten einstimmig durch Abwesenheit.

Marken und Einzelhändler müssen Verantwortung übernehmen

„Marken und Einzelhändler sind natürlich nicht für die Pandemie verantwortlich, aber sie sind für ihre Reaktionen darauf verantwortlich. Nur die wenigsten Arbeiter hatten Ersparnisse; die meisten waren sogar verschuldet und die Lieferanten auch. Viele internationale Einkäufer nutzten das aus, verlangten höhere Preiszugeständnisse und zahlten noch langsamer“, resümiert Scott Nova, Geschäftsführer des Worker Rights Consortium, die Situation.

„Marken und Einzelhändler haben es versäumt, sich einzubringen. Während sie von Rettungspaketen und Rettungsprogrammen profitieren, hat sich keine große Marke oder Einzelhändler engagiert. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen Gesagtem und dem tatsächlichen Verhalten“, fügt Nova hinzu.

Ayesha Barenblat, Gründerin und CEO der US-NGO Remake, wies auf Untersuchungen der Clean Clothes Campaign hin, die herausfanden, dass 3 Millionen US-Dollar an Löhnen ausstehen und dass keine der großen Marken - von denen viele während der Krise Gewinne verbuchten - vorgetreten ist, um etwas dagegen zu tun. Das hat schlimme Folgen für das schwächste Glied in der Lieferkette, die Arbeiterinnen.

Arbeiterinnen sind am stärksten betroffen

„Frauen essen eine Mahlzeit [am Tag] statt zwei; sie bekommen keine proteinreiche Kost, weil sie es sich nicht leisten können. Sie sind gezwungen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen, weil sie die Schulgebühren nicht zahlen können. Schwangere Frauen sind die ersten, die entlassen werden, und Arbeiterinnen werden generell mit Kurzzeitverträgen abgespeist. Fabriken stellen Arbeitskräfte ein und entlassen sie wieder, um keine Sozialleistungen zahlen zu müssen“, fasst Barenblat die düstere Situation für Arbeiterinnen zusammen.

„Dies ist die größte humanitäre Krise unserer Zeit. Aber die Lieferketten sind nicht kaputt, sie sind so aufgebaut, dass sie das gesamte Risiko auf die Lieferanten abwälzen“, fügt sie hinzu. „Aus wirtschaftlicher Sicht ist das völlig irrational“, stimmt Nova zu. „Es gibt wahrscheinlich keine andere Branche, in der ein 20-Millionen-Dollar-Unternehmen - ein Zulieferer - Auftragskosten für ein 20-Milliarden-Dollar-Unternehmen - den Käufer - vorstreckt.“

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? „Ganz einfach, weil die Käufer die Macht haben“, erklärt Nova. „Und dieses Machtungleichgewicht manifestiert sich in den Zahlungsbedingungen. Die Lieferanten müssen die finanziellen Kosten tragen, was zu chronischen Cashflow-Schwierigkeiten führt. Wenn also eine Krise wie die aktuelle eintritt, gibt es wenig oder gar nichts, worauf sie zurückgreifen können.“

Zulieferer, die sich um ihre Mitarbeiter kümmern, schneiden besser ab

Aber nicht alle Zulieferer arbeiten auf diese Weise. Der pakistanische Denimstoff- und Bekleidungshersteller Crescent Bahümán liegt 100 Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt. Für die 35.000 Einwohner, die bei Crescent Bahümán arbeiten, heißt dies Leben auf dem Campus.

„Wir mussten unsere täglichen Angelegenheiten regeln und auf Anordnung der Regierung für einen Monat schließen, aber im großen und ganzen wurden wir von der Pandemie verschont, da wir nicht so viele Kunden haben“, erklärt Zaki Saleemi, Vizepräsident von Crescent Bahümán.

Pakistans erste vertikal integrierte Denim-Fabrik stellt an einem normalen Tag Produkte für etwa acht bis zehn Kunden her und produziert etwa eine Million Jeans oder 1,5 Millionen Meter Stoff pro Monat. „Unser Hauptkunde, der 50 Prozent unseres Geschäfts ausmacht und mit dem wir seit 23 Jahren zusammenarbeiten, war äußerst verständnisvoll“, sagt Saleemi. Doch ein Jahr später hat sich auch dieses Unternehmen noch nicht ganz wieder erholt: Obwohl die Kapazitäten wieder auf 100 Prozent gestiegen sind, nachdem sie auf etwa 70 Prozent gefallen waren, ist der Auftragsfluss noch nicht wieder derselbe wie vorher.

„Es gibt noch viel zu tun, und im Moment konzentrieren wir uns auf die Beschäftigung von Frauen und Nachhaltigkeit. Während des Lockdowns hatten wir Zeit zum Nachdenken und haben uns gefragt: ‘Wie wollen wir die nächsten 5 Jahre verbringen? Wollen wir in Technologie investieren, die Kapazitäten erhöhen?’ Wir sind jetzt im Reset-Modus, aber wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt, es ist ein menschenorientiertes Unternehmen, und wir werden es besser überstehen als andere“, ist sich Saleemi sicher.

Was sind die Lösungen?

Ein Neuanfang und die Arbeiter in den Mittelpunkt zu stellen, scheint das Gebot der Stunde zu sein, aber „niemand ist bereit, die Position des Arbeiters als wichtigem Stakeholder zu verstehen“, so Khalid Mahmood, Direktor der pakistanischen Arbeiterrechts-NGO Labour Education Foundation (LEF). „Es gibt einige Zulieferer wie Crescent Bahümán, die sich besser um ihre Arbeiter kümmern, aber das ist nicht die Norm.“

„Im Moment werden in Pakistan, einem der schwierigsten Länder in Bezug auf Arbeitsrechte, nur Akkordarbeit und Kurzzeitverträge angeboten und Arbeiter schuften 12-Stunden-Schichten, ohne bezahlte Überstunden. Es mangelt an Vereinigungsfreiheit und es gibt Drohungen und Gewalt gegen Arbeiter, die versuchen, sich zu organisieren“, beschreibt Mahmood die Situation.

„Der Lockdown wurde Ende März durchgesetzt und die Arbeit Ende Mai wieder aufgenommen. Während dieser Zeit erhielten die Arbeiter nur die Hälfte ihres Lohns, und danach wurden viele nicht zurückgeholt. Eine Fabrik warf 3.000 Festangestellte heraus und bot dann einigen von ihnen Kurzzeit oder den halben Akkordlohn an“, fügt er hinzu.

Dies hat das Leben der Arbeiter nachhaltig beeinträchtigt, da sie jetzt selbst für die grundlegendsten Bedürfnisse kämpfen müssen. Sie kaufen etwa bei Ladenbesitzern auf Kredit oder leihen sich Geld von Verwandten. Auch ihre Kinder leiden, da kein Geld für die Schule vorhanden ist.

Welche Lösungen bieten sich für die Bekleidungsindustrie an? Wie kann es weitergehen? „Freiwillige Selbstregulierung funktioniert nicht, stattdessen braucht es erzwingbare Vereinbarungen, die Marken und Einzelhändler dazu verpflichten, auf gute Löhne und faire Bedingungen bei ihren Zulieferern zu achten“, sagt Nova und fügt hinzu: „Das hat in Bangladesch mit dem Accord funktioniert.“

„Dreißig Jahre Betriebsüberprüfungen haben uns nicht weit genug gebracht“, stimmt Barenblat zu. „Wir brauchen ein arbeitnehmerzentriertes Konzept. Wir brauchen faire Löhne und verbindliche Vereinbarungen sowie Transparenz in der Lieferkette und gesetzliche Unterstützung.“

„Internationale Arbeitsrechtskonventionen müssen respektiert werden“, fügt Mahmood hinzu. „Jede große Marke ist in den Fabriken vertreten; sie müssen Verantwortung übernehmen. Eine Hauptforderung von Arbeiterseite sind faire Löhne, auch Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen sowie Sicherheit am Arbeitsplatz, zumindest in mittleren und kleinen Betrieben. In großen Fabriken sieht es in Bezug auf Sicherheit etwas besser aus.“

Zu guter Letzt sollte nicht vergessen werden, dass Fabriken - ob groß oder klein - ihre Anstrengungen verstärken müssen, wenn es darum geht, Covid-19-Ausbrüche zu verhindern. Fabriken sind buchstäblich Brutstätten für Infektionen, wenn man bedenkt, dass die Temperaturen ohnehin schon hoch sind und es daher schwierig ist, den ganzen Tag Masken zu tragen und durch sie zu atmen. Außerdem müssen die Hygienemaßnahmen und die soziale Distanzierung verstärkt werden, um eine bereits schlechte Situation nicht noch zu verschlimmern.

Bilder: Clean Clothes Campaign / Remake

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