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Freitag: „Bei uns gibt es das Wort ‘Nachhaltigkeit’ gar nicht”

Von Ole Spötter

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Business |INTERVIEW

Das Thema Nachhaltigkeit bekommt immer mehr Relevanz in der Modeindustrie, sodass auch große Marken wie H&M und Asos an einem grüneren Sortiment arbeiten. Die Schweizer Taschenmarke Freitag geht dagegen nicht mit einer nachhaltigen Kollektion hausieren. Das braucht sie auch nicht, da die Kreislaufwirtschaft fest in der Unternehmens-DNA verankert ist.

„Wir sind generell alles, was mit Kreislauf zutun hat: Fahrräder sind Kreislauf und unsere ersten Bags, waren Messenger-Bags. Wir sind also schon geboren mit der DNA des Fahrrads”, sagte Oliver Brunschwiler, Creative Director bei Freitag.

FashionUnited traf Brunschwiler bei der Eröffnung des neuen Freitag by Selekteur Stores in Amsterdam und sprach mit dem ehemaligen Snowboard-Profi darüber, warum gerade die Corona-bedingten Einschränkungen des Flugverkehrs ein Hindernis für die Marke darstellen, wie sich Freitag politisch engagiert und wieso ‘100 Prozent Kreislauffähigkeit’ fast unmöglich sind.

Sie waren selbst professioneller Snowboarder, spielt dieser Aspekt bei der Marke auch eine Rolle?

Brunschwiler: Einen direkten Bezug zu Wintersport haben wir nicht – wir konzentrieren uns auf die urbanen Transportdilemmas, nicht diejenigen im Schnee. Aber ganz am Anfang wo Daniel und Markus [Daniel und Markus Freitag, Gründer, Anm. d. Red.] noch im ersten Atelier Taschen genäht haben, haben sie mich angefragt, ob ich einen Snowboard-Bag testen kann. Der hieß Stenmark. Stenmark war früher ein Slalomfahrer aus Schweden. Das habe ich getestet und nach Japan mitgenommen, weil ich da Profi war, und bin mit der [Tasche] um die Welt gereist.

Sie sind aber nicht nur ehemaliger Snowboarder und Kreativer Leiter, sondern bekleiden auch einige andere Positionen wie Lead Link, Strategic Planning, Member of the Board. Können Sie die breit gefächerte Aufstellung etwas genauer erklären?

Das ist unser sogenanntes Selbstorganisationssystem, das führt dazu, dass man verschiedene Rollen haben kann. Für dieses Interview, rede ich aus der Rolle “Apostel”, die den 'Purpose' hat, die Marke Freitag zu vertreten ‘gegen Außen’. Wenn ich aus der Rolle als Creative Director rede, dann bin ich bei der Konzeptabnahme eines Retail-Stores. Das nennt sich Holacracy und ist unser Organisationsmodell.

Wir haben also eigentlich auch diese klassischen hierarchischen Stufen abgeschafft. Ich habe zwar Rollen, die in der Gesamtheit die Geschäftsführung innehaben, aber je nach Projekt habe ich einen ‘fachlichen Hut’ an. Diesen Hut können aber - je nach Fachbereich - auch andere Mitarbeiter tragen. Wir wollen unsere Mitarbeiter empowern selbstständig entscheiden zu können.

Sind weitere DIY-Experience wie der Sweat-yourself-Shop geplant?

Egal ob es jetzt digital oder physisch ist, es ist ein neues DIY-Produkt, das wir wieder bringen und noch ein bisschen smarter ist, das noch ein bisschen mehr die Leftovers, die beim Schneiden entstehen, wiederverwertet. Wir wollen ja eigentlich die Kreisläufe schließen und noch weniger Abfall produzieren.

Ergänzt das neue Produkt die DIY-Palette?

Es ist die Ablösung. Wir sind da sehr rein, es gibt immer nur etwas, was man an dieser Location gerade machen kann, und wir mögen es, dort zu experimentieren. Wir haben festgelegt, wie viele es von dem ersten Produkt gibt und waren aber selber noch nicht ganz zufrieden damit, besonders in anbetracht der Leftovers und auch der Design-Features – es war ein Prototyp. Jetzt gibt es eine Neuentwicklung des Produktes und Verbesserungen in punkto DIY-Charakter kommen auch noch dazu.

Hat die Pandemie die Digitalisierung vorangetrieben?

Das ist keine Rocket-Science, oder? Da geht es allen genau gleich. Das hat gezeigt, dass dieser exogene Schock dich als Organisation einfach konstant 'alert' machen muss. Du musst viel wacher sein und das ist gesund, oder? Weil exogene Einflüsse sind etwas, was einem die Transformation beschleunigt. Ich sehe das als positiven Push Richtung Digitalisierung.

Leute werden weiterhin Retail betreiben. Wir machen von Jeju (Korea) bis Amsterdam lärm und eröffnen weiterhin neue Stores mit unseren Partnern. Aber der Shift zum E-Commerce wird den weggebrochenen Umsatz der Corona-Zeit nicht einfach auffangen können.

Viele Unternehmen in der Modebranche litten besonders unter der Lockdown-bedingten Ladenschließung und schrieben rote Zahlen. Wie ging es Freitag in dieser Zeit?

Wir sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Dazu muss ich natürlich sagen wir sind organisch limitiert zu wachsen, weil wir nicht in irgendeiner Fabrik in China anrufen können und sagen: Wir verdoppeln die Menge. Das ist alles gebrauchtes Planenmaterial, das wir europäischen Speditionsunternehmen abkaufen und involviert zahlreiche manuelle Produktionsschritte.

Wir sind auch selbst finanziert, das heißt wir arbeiten ohne Banken und es sind immer nur unsere Profite, die wir in unserem eigenen Tempo in Innovationen re-investieren, die unserer Philosphie entsprechen. Mit solchen wertegetriebenen Projekten wiederum ziehen wir genau diejenigen Mitarbeiter an, die zu unserer Marke passen.

Wurden Sie als selbstfinanziertes Unternehmen durch fehlende Einnahmen gestoppt?

Wir hatten natürlich Anfang des Jahres noch sehr ambitionierte Ziele, nur war im Februar bereits das Frühwarnsystem an, weil wir in Asien sehr präsent sind und da gesehen haben wie es zu- und hergeht. Dadurch konnten wir unsere hohen Ambitione frühzeitig korrigieren und uns so gut es ging darauf einstellen.

Weil wir selbst finanziert sind, mussten wir auf die Kostenbremse treten, weil viele der geplanten Projekte nicht auf einen Shift zum E-Commerce fokussiert haben, sondern eher spielerisch waren und die Risiken sehr hoch waren zu scheitern. Wir mussten aber keine Stellen abbauen. Uns geht es bis heute sehr gut, obwohl unserer Drop insgesamt dieses Jahr um die 15 bis 20 Prozent sein wird vom ambitionierten Ziel.

Wie sind Sie mit diesem Bremsklotz umgegangen?

Weil die ganze Firma sehr agil ist, konnten wir die Strategie sofort umstellen. Wir haben neue Prioritäten gesetzt und das hat in unserer Größe funktioniert, das hat sich durchgesetzt und so können wir uns über längere Rezessionsphasen oder Pandemien bringen.

In letzter Zeit wurden viele Stores von Freitag eröffnet. Können Sie etwas mehr zu der Expansionsstrategie erzählen?

Bei den sogenannten “F-Store by”, wo wir potente, motivierte Verkaufspartner haben oder die die Marke in einer Art Klein-Lizenz verkaufen, läuft es oft über Opportunitäten. Da fragen wir niemanden jetzt proaktiv an: Willst du einen ‘F-Store by’ für uns aufmachen. Das ist eigentlich eher umgekehrt und die vertrauten Partner sind es, die uns fragen.

Bei den zwei bis drei Stores, die wir sonst jährlich selber aufmachen, haben wir die Projekten erst mal on hold gesetzt. Es gibt beim Immobilienbereich viele Opportunitäten momentan. Aber da sind wir schon noch sehr zurückhaltend, weil ein wichtiger Treiber bei uns im Retail der Tourismus-Verkehr ist.

Wurden die Corona-bedingten Reisebestimmungen zum Hindernis?

Der Flugverkehr beeinflusst den Traffic in Freitag- Stores sehr. Es ist der größte ‘Bricks and Mortar'-Einflussfaktor bei Freitag, weil unsere Kunden mobil und Bag-Hunter sind, das heißt sie reisen rum und jagen die Unikate, die sie bei den üblichen Massenartikeln nicht bekommen.

Gibt es Märkte die Sie aktuell noch erschließen möchten?

Es kam in letzter Zeit sehr viel Interesse aus den USA. Vor allem an der Westküste und im Nordwesten sind unsere Kunden. Deswegen waren wir wieder interessiert an einem US-Expansionplan. Allerdings ist das so ein riesen Ding, wenn man es richtig macht, und daher bin ich auch ein bisschen froh, dass wir da aktuell abgebremst wurden und uns wieder mehr fokussieren wo wir am Besten sind.

Wir wünschen uns schon den Kreis zu schließen – den Globus – weil wir schließen ja Kreisläufe. Die Herausforderung wäre wieder gewesen, dass wir eine sehr hohe Distanz hätten in der Logistik und das wollen wir eigentlich immer vermeiden. ‘Returns’ oder ‘free Shippings’ gibt es bei uns nicht, weil diese Art der Logistik alles andere als ökologisch ist. Wir haben aber Zeit, den Globus-Kreis zu schließen und müssen nicht jede Opportunität nutzen – wir wachsen langsam.

Foto: Lukas Wassermann

Neben Taschen gehört auch eine biologisch abbaubare Bekleidungslinie zum Sortiment. In den Geschäften ist diese nicht so stark präsent, warum?

Es ist tatsächlich eher unser Hobby und haben es ursprünglich für uns selber gemacht. Es gab mal kurzfristig eine Ambition für einen Business-Case, aber den haben wir wieder gelassen. Wir wollten uns selber beweisen, dass wir das können, eine Kleiderlinie zu entwickeln, die in Europa hergestellt wird und am Ende ihres Produktlebenszyklus nichts Schädliches zurücklässt.

Wir vertreiben es da wo es Sinn macht – ausschließlich in Europa, wo unsere Kleiderlinie auch hergestellt wird, und online – aber es ist jetzt nicht so, dass wir Ambitionen haben, ‘F-abric’ zu einem Geschäftsfeld zu machen, das so groß wie unser Taschenbusiness wird.

Eigentlich geht es nur um Stoffe. Vor sieben Jahren haben wir das lanciert, es ist 100 Prozent Kreislauf-fähig, Cradle-to-cradle, also gar keine toxischen Dinge, auch keine bewässerungsintensive Baumwolle, sondern europäische Bastfasern und Modal. Dementsprechend ist das ganze auch stark limitiert, ganz ohne Synthetik kannst du nicht jeden Schnitt draus machen.

Welche Ziele strebt Freitag im Bezug auf Nachhaltigkeit noch an?

Unser ‘Purpose’ ist es, 99 Prozent kreislauffähig zu werden, was sich mittlerweile solche [Unternehmen] wie Microsoft auf die Fahne schreiben, in zehn Jahren. Aber die kompensieren das, oder? Dafür gibt es ganze Wissenschaften, wie man ‘Nachhaltigkeit’ misst. Bei uns gibt es das Wort ‘Nachhaltigkeit’ gar nicht, weil das alles Teil der DNA ist. Alles was wir im Materialbereich selber machen können, beeinflussen können, dass wollen wir richtung 99 Prozent treiben, weil 100 Prozent fast unmöglich ist – in unserer Generation zumindest.

Gibt es andere Themen die Sie noch vorantreiben möchten?

Wir engagieren uns das erste Mal politisch. Wir haben angefangen uns in Zürich mit der Verkehrsordnung, dabei gehts um den Fahrradverkehr, [auseinanderzusetzen]. Wir wollen eigentlich, nicht nur weil wir das in der DNA haben, das intelligente Städte Fahrrad- fähiger werden. Deswegen fangen wir an Stadt für Stadt uns als Marke und Arbeitgeber politisch zu outen und zu engagieren, aber nur in diesem Bereich.

Es ist etwas, was auch immer ein wenig heikel ist, weil man vertritt dann ja auch andere Mitarbeiter, wenn man eine politische Haltung äußert. Und dann bist du auch schnell in einer Ecke, bei den Grünen meistens, wenn es um Fahrräder geht. Wir vertreten eigentlich die Kreislaufwirtschaft, dass ist eine neue Vision, die wir uns so stecken, unabhängig von irgendwelchen kommerziellen Ambitionen.

Fotos Freitag | Titelbild: Oliver Brunschwiler by Roland Taennler

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