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Noch immer im Lockdown: Der Modehandel zwischen Ohnmacht und Tatendrang

Von Ole Spötter

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Einzelhandel

Auch im Januar ist kein Ende eines Lockdowns und die Wiedereröffnung des gesamten Einzelhandels in Sicht. Dafür sollen die Coronahilfen nachgebessert werden, aber viele Händler sind nicht zufrieden. Friedrich Werdich, Geschäftsführer der gleichnamigen Schuhhäuser, und Herrenausstatter Klaus Michelberger von der Initiative #handelstehtzusammen erzählen, wie sie die nachgebesserten Hilfen sehen und auf die Ordersaison blicken.

„Dies ist sicherlich die schwierigste Saison, seit ich in der Branche bin”, sagte Klaus Michelberger, Geschäftsführer von Herrenmoden Michelberger GmbH & Co KG. In dritter Generation leitet der gelernte Textilbetriebswirt das Familiengeschäft im baden-württembergischen Bad Wurzach. Trotz Angeboten wie der Michelberger Männerbox oder Live-Einkaufen per Videocall, schloss das Unternehmen 2020 mit einem Minus von 40 Prozent ab. Der 1936 als Änderungsschneiderei gegründete Modehändler bietet eine große Auswahl an festlicher Kleidung für Männer an, sowie für Business und Freizeit.

Klaus Michelberger sieht neben den nicht ausreichenden Corona-Hilfen ein großes Problem beim Thema ‘Warenendlager’, das bis zu den aktuellen Beschlüssen der Regierung überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Das Problem sei noch deutlich größer als im Vorjahr, weil seit Mitte Dezember kein Abverkauf mehr stattfinden konnte und der Saisonverlauf vorher im „Lockdown Light“ auch schon darunter gelitten habe, sagte Michelberger. Das macht sich bei ihm in der Finanzierung der neuen Frühjahr/Sommer-Ware bemerkbar, die bereits eingekauft wurde.

Modehändler starten in die neue Ordersaison

Während die Lager noch voll sind, startet die Branche aber bereits in die nächste Orderrunde. Die Ungewissheit wie lange der Lockdown noch anhält und für das aktuelle Geschäftsjahr, machen die Planung schwierig. „Im Frühjahr 2020 hätte ich eine Situation, wie wir sie im Herbst 2020 vorgefunden haben schlicht für unmöglich gehalten. Grundsätzlich wird man aber sicherlich das Ordervolumen noch einmal genau prüfen”, sagt Michelberger per E-Mail.

Aber er muss auch weiterhin auf gute Geschäftsbeziehungen zu seinen Lieferanten achten. „Wenn wir jetzt unsere Vororder extrem reduzieren, wird das Problem verlagert und wir haben dann im Umkehrschluss ein wesentlich geringeres Lieferantenportfolio”, sagt der Modehändler.

Die Pandemie verdeutlicht auch wieder die Probleme des Großhandelsmodells. Für Händler ist die Vorlaufzeit in der Beschaffung von bis zu sieben Monaten nicht mehr zeitgemäß. Das Limit müsse die Volatilität der Endverbraucher-Nachfrage widerspiegeln, findet Friedrich Werdich. „Wir müssen mit der Beschaffung wieder näher an den Markt rücken. Da die Industrie ihrerseits zunehmend weniger Lagerrisiko übernimmt, sind wir bestrebt, kurzfristige Nachfrage zunehmend mit unseren Eigenmarken ‘aufzufüllen’.” Neben ihren eigenen Marken vertreibt die Schuhhaus Werdich GmbH & Co. KG in ihren 38 Filialen in Süddeutschland auch eine breite Auswahl an Brands wie Nike, Ara oder Dr. Martens.

Foto: Friedrich Werdich

Händler: Kaum Hilfen ausgezahlt

Kurz vor der neuen Ordersaison änderte die deutsche Bundesregierung Anfang Januar die Regelungen bei den Corona-Hilfen. Diese sollen auch die Wertverluste bei der saisonalen Ware als erstattungsfähige Fixkosten anerkennen, die ein großer Kostenfaktor für die Händler sind. Aber die angekündigten Aufbesserungen der Corona-Hilfen reißen die Händler nicht wirklich vom Hocker.

„Die Politik vermittelt seit Wochen in der Öffentlichkeit das Bild, dass auskömmliche Hilfen für den Handel bereitgestellt wurden. Die Realität zeigt aber ein anderes Bild. Es sind bislang kaum Hilfen ausbezahlt worden”, so Werdich.

Die Schuhhaus Werdich GmbH & Co. KG zählt durch die Mitarbeiteranzahl nicht mehr als kleines oder mittleres Unternehmen. Deshalb hat der Schuhhändler – mit Ausnahme des Kurzarbeitergeldes – bislang keine Hilfsmaßnahmen bekommen.

Eine aktuelle Umfrage des Handelsverbands Deutschland ergab, dass 70 Prozent der vom Lockdown betroffenen Händler staatliche Hilfen bekommen haben – diese reichen aber laut der Befragten bei weitem nicht aus. Im Durchschnitt sollen diese Unternehmen etwa 11.000 Euro an Hilfszahlungen bekommen haben, teilte der Verband am Dienstag mit.

Das letzte Wort ist beim Thema “Corona-Hilfen” noch nicht gesprochen: „Wir werden weiter aktiv und konstruktiv unseren programmatischen Beitrag für das Kulturgut Innenstadt und den Fortbestand der Unternehmen und deren Arbeitsplätze leisten”, sagte Werdich.

Händler werden laut

Friedrich Werdich, Geschäftsführer der Werdich-Schuhhäuser, sieht sich in der Situation zwischen Ohnmacht – nicht das machen zu dürfen, was die Händler auszeichnet – und dem Tatendrang, sich der Krise entgegenzustellen. Mit dieser Energie ist der Schuhhändler mit Sitz in Dornstadt bei Ulm nicht alleine. Gemeinsam mit Kollegen wurde das Aktionsbündnis #handelstehtzusammen gestartet, das die Absicherung der vom Lockdown-betroffenen Unternehmen oder die Öffnung der Läden fordert.

„Wir fordern eine unbürokratische, schnelle Bereitstellung von Hilfen, orientiert am entgangenen durchschnittlichen Rohertrag der jeweiligen Branche”, sagte Werdich. „Alternativ möchten wir uns möglichst schnell – durch Öffnung unserer Geschäfte – im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Einhaltung aller Hygienevorschriften wieder selbst helfen.”

Zusammenschlüsse dieser Art gibt auch bei den großen deutschen Sportartikelhändlern oder der branchenübergreifenden Händler-Initiative “Wir machen auf__merksam”.

Aktionen in der Übersicht:

Verkauf im Lockdown: E-Commerce ersetzt persönliche Beratung nicht

Besonders während der stationäre Einzelhandel seine Türen geschlossen halten muss, boomt der Onlinehandel. Laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. hat der deutsche Onlinehandel 2020 83,3 Milliarden Euro umgesetzt und in diesem Jahr soll sogar die 100-Milliarden-Euro-Grenze überschritten werden.

Foto: Schuhaus Werdich by Ingo Rack, Bad Buchau

Das Schuhhaus Werdich betreibt bereits seit 2006 einen eigenen Webshop, der allerdings auch nicht die Umsatzverluste von 38 geschlossenen Filialen ausgleichen kann. Gleiches gilt für Michelberger, der zusätzlich Call & Collect oder Gutscheine anbietet. Er sieht vor allem die ausbleibende persönliche Beratung als Problem.

„Zum einen liegt es natürlich daran, dass unsere Kunden gerade den persönlichen Kontakt schätzen und suchen und zum anderen auch ein Produkt wie einen Hochzeitsanzug nicht über „online“ verkauft werden kann, denn hier spielen ‘Emotionen’ eine sehr große Rolle”, so Michelberger.

Titelbild: Chris Panas via Pexels.

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