Jenseits der Laufstege: Wie viraler Hype die Mode von 2023 geprägt hat
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2023 neigt sich dem Ende zu und obwohl die Modebranche sich häufig damit rühmt, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu blicken, ist die Zeit reif für eine modische Bilanz des zu Ende gehenden Jahres. Ein Blick in den jährlichen "Year in Fashion"-Bericht der britischen Modesuchmaschine Lyst wirft jedoch die Frage auf, inwiefern die Mode des Jahres tatsächlich von der Mode und ihren Schöpfer:innen diktiert wurde – und wie viel der virale Hype und die Wahrnehmung in den sozialen Medien eine Rolle gespielt haben.
Während die Kurzvideoplattform TikTok schon seit einigen Saisons als wichtiger Akteur für die Sichtbarkeit der Modebranche gilt – und in der Vergangenheit mit Kategorien wie "TikTok"-Ästhetik des Jahres in die Berichte aufgenommen wurde – ging Lyst dieses Jahr noch einen Schritt weiter. Der Report berücksichtigte mehrere Perlen der Populärkultur, von denen 2023 reichlich bot, und deren Einflüsse auf die Modebranche. Während Lyst behauptet, dass "die Mode einige der größten kulturellen Gesprächsthemen des Jahres angetrieben hat", blickt FashionUnited auf das Jahr 2023 zurück und fragt, ob es der Hype oder die Mode war, die den Ton angab.
Was haben ein 73 Jahre alter Sneaker, eine Tasche für 20 Euro und Micro-Shorts gemeinsam?
Auf den ersten Blick sind die Kategorien des “Year in Fashion”-Reports mit Unterteilungen wie ‘Marke des Jahres’, ‘Logo des Jahres’, ‘Schuh des Jahres’ und ‘Sneaker des Jahres’ sowie ‘Tasche des Jahres’ relativ geradlinig. Komplizierter wird es da schon bei ‘Trend des Jahres’, denn die vergangenen 12 Monate waren von einem kontinuierlichen Wandel geprägt, mit “Core”-Ästehtiken – von Quiet Luxury über Barbiecore bis hin zu Office Punk. Der sich kontinuierlich und rasant veränderndel Trendzyklus macht die definitive Abgrenzung eines einzigen Trends für ein gesamtes Jahr nicht gerade einfach. Und so ist es kaum verwunderlich, dass die modische Strömung, die am Ende als Sieger hervorging, – der “Underwear-as-Outerwear”-Trend – insbesondere in den sozialen Netzwerken Wellen geschlagen hat.
Größter Propagandist der Unterwäsche ähnelnden Micro-Shorts und zugleich die beliebteste Marke des Jahres 2023 ist Miu Miu. Entgegen der alten Legende von der "Hemline Economy", die besagt, dass die Saumlänge fällt, wenn die Wirtschaft schwächelt, waren Shorts noch nie kürzer. Miu Miu mag den Trend mit Schauspielerin Emma Corrins winzigen goldenen Paillettenhöschen für FW23 eingeleitet haben, was die Suchanfragen nach der Marke in nur 24 Stunden um 257 Prozent in die Höhe schnellen ließ, doch der Trend setzte sich im Laufe des Jahres bis zur SS24-Saison fort. Marken wie Tom Ford und Gucci griffen den heißen Hosentrend auf, für den die Suchanfragen im Vergleich zum Vorjahr um 133 Prozent stiegen.
Personenbezogener Hype ist für Marken lang kein Fremdbegriff mehr, denn der Einfluss der richtigen Markenbotschafter:innen, sowohl auf der Straße als auch in den Front Rows ist unverkennbar. So verhalfen prominente Fans wie Harry Styles, die auf den sozialen Medien dominante “Clean Girl Aesthetic” und Hype generierende Kollaborationen dem 73 Jahre alten Adidas-Sneaker Modell ‘Samba’ aus Herzogenaurach den Titel des ‘Sneaker des Jahres’ und eine Uniqlo-Tasche generierte durch virale Mund-zu-Mund-Propaganda über 119 Millionen Aufrufe auf TikTok. Eine Tatsache, die die halbmondförmige Konkurrentin nicht nur aus den Regalen flogen sah, sondern ihr auch den rühmlichen Namen der ‘Tasche des Jahres’ einbrachte. Das ‘Logo des Jahres’, das Anagram Logo der spanischen Luxusmarke Loewe, ist vergleichsweise subtil, doch Designer Jonathan Anderson packte das Loewe-Logo auf jede erdenkliche Oberfläche, vom Oberteil bis zur Tasche, und macht es so zu einem unausweichlichen Erkennungszeichen der Marke – und der Träger:innen –, was Suchanfragen im Vergleich zum Vorjahr um 170 Prozent steigen ließ.
Das Jahr, in der Popkultur zur Mode wurde
Während sich die anfänglichen Kategorien des Berichts durchaus der Mode und ihren viralen Momenten widmete, gibt sich Lyst in der zweiten Hälfte ganz und gar der Populärkultur hin. Das eine schließt das andere allerdings keineswegs aus, denn in kaum einem anderen Jahr waren kulturelle Geschehnisse – von viralen Gerichtsverhandlungen über Konzerttourneen – so eng mit der Modebranche verwoben wie in 2023.
Während die Nominierung von A$AP Rocky und Rihanna als Modepaar des Jahres wohl nicht sonderlich überraschen kann – er wurde gerade erst zum Kreativdirektor von F1 x Puma ernannt, während sie vor kurzem ihre Zusammenarbeit mit der deutschen Sportbekleidungsmarke wieder aufleben ließ, um nur zwei ihrer modischen Errungenschaften zu nennen –, haben andere Punkte auf der Lyst-Liste, wie der "virale Moment" und die "Fernsehshow" des Jahres, auf den ersten Blick nicht direkt etwas mit Mode zu tun. Indirekt handelt es sich genau bei diesen drei Kategorien jedoch nicht nur um die wohl vielsagenden, wenn es um die aktuelle Beziehung zwischen Popkultur und der Modebranche geht, sondern auch um jene, die wesentlich zu den Trend-Konversationen des Jahres beitrugen.
Quiet Luxury, einer der lautesten Trends der vergangenen 12 Monate, wurde maßgeblich von der HBO-Serie ‘Succession’ und deren Einfluss in den sozialen Medien angetrieben. Als die finale Staffel des Serien-Epos anlief, wurde die Kleidung der auf Medienmoguls Rupert Murdoch basierenden Familie im Zentrum der Show ebenso heftig diskutiert, wie die eigentliche Handlung. Und wer dachte, der stille Luxus existiert lediglich in den Kleiderschränken fiktiver Charaktere wurden in einem Gerichtssaal im US-amerikanischen Utah eines Besseren belehrt. Dort fand nämlich der “virale Moment” des Jahres statt, als Schauspielerin Gwyneth Paltrows in einer Parade an “Quiet Luxury”-Looks wegen eines Skiunfalls vor Gericht stand und die Anklagebank zu ihrem persönlichen Laufsteg machte und die Suchanfragen für die von ihr getragenen Marken wie The Row, Celine und Loro Piana in die höhe schnellen ließ.
Vom Gerichtssaal auf die Bühnen dieser Welt, denn laut Lyst war 2023 “das Jahr, in dem Mode und Musik in spektakulären Arena-Auftritten aufeinandertrafen". Während Sängerin Taylor Swifts für ihre laufende “Era”-Tournee für einige Outfits mit Designer:innen wie Versace und Oscar de la Renta zusammenarbeitete, ist das nichts vergleichbar mit der Modenschau in die Beyonce ihre "Renaissance"-Tournee verwandelte. Die Sängerin arbeitete sowohl mit aufstrebende als auch etablierten Designer:innen für insgesamt mehr als 600 Looks zusammen – ganze 150 davon haben laut Lyst bislang noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt. Während der 56 Shows, die sie 2023 absolvierte, ist die Nachfrage nach Repliken und das Interesse an der von ihr zur schau gestellten Marke meteorisch angestiegen – schon allein ein Bodysuit von Loewe hat das Interesse an der Marke auf Lyst um 140 Prozent steigen lassen.
Ob die Symbiose aus Mode und Popkultur in diesem Jahr bereits den Zenit erreicht hat, oder ob das Zusammenspiel im kommenden Jahr – auch dank Kreativdirektoren wie dem singenden Designer Pharrell Williams bei Louis Vuitton – noch weitere Höhen erreichen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings bereits, dass Mode 2023 auch vor allem fernab der Laufstege für viel Gesprächsstoff sorgte.