Wie transparent sind Bekleidungsetiketten? Fünf Erkenntnisse
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Alle reden von Transparenz in der Modebranche, doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Etiketten zum Beispiel, die kleinen, nervigen Dinger, die uns im Nacken oder am Rücken kratzen. Sie sind nützlich und die erste Informationsquelle eines potenziellen Kunden oder einer potenziellen Kundin im Laden (geschweige denn, er oder sie hat sich schon vorab im Internet informiert). Wieviel Informationen geben sie aber tatsächlich preis, zum Beispiel zum Herkunftsland, zu den Herstellern und anderen Angaben? FashionUnited hat in einer informellen Untersuchung in einem durchschnittlichen Einkaufszentrum in Europa die Etiketten der bekanntesten Modemarken unter die Lupe genommen. Hier ist das Ergebnis in fünf Erkenntnissen.
Der Sehtest
Die erste Erkenntnis: Bitte eine Lupe oder Lesebrille mitnehmen. Denn die meisten Etiketten sind derart klein gedruckt, dass auch Verbraucher mit der besten Sehstärke Schwierigkeiten haben dürften, diese zu entziffern. Einzige Ausnahme: Etiketten der Marke Superdry waren auch ohne Brille zu lesen; ansonsten konnten Modeunternehmen hier nicht punkten.
Der Suchtest
Viel Text ja, Informationen nein. Viele Informationen ließen sich finden, aber die Frage war bei den meisten Marken - wo ist die relevante Information zum Herstellungsland versteckt? Denn suchen musste man sie, unter Pflegehinweisen, Angaben von Niederlassungen und dergleichen. Ausnahme auch hier wieder die Marke Superdry, die ihre Angaben zum Herstellungsland nicht im Pflegeetikett versteckt, sondern sie prominent im eingenähten Etikett am Kragen preisgibt. Die Marke Orsay platziert ihre Informationen zum Herkunftsland zwar auf dem Pflegeetikett, dort aber immerhin prominent auf der ersten Seite (Ja, Pflegeetiketten sind wie kleine Heftchen, mit mehreren Seiten). Ansonsten - auch hier keine Punkte für die Modemarken.
Der Sprachtest
Viele Marken verstecken die Angaben zum Herstellungsland nicht nur auf dem Pflegeetikett - das meist an der Seite unten eingenäht ist und dessen nähere Betrachtung die Aufmerksamkeit des Ladenpersonals auf sich zieht - sondern auch unter einer Fülle von Angaben in verschiedenen Sprachen, oft Dutzenden. So hilfreich dies ist, wenn man Sprachen lernen möchte, so irritierend ist es, wenn man vor dem Kauf eines Kleidungsstücks schnelle Informationen zum Herstellungsland sucht. Auch hier konnten die Marken nicht punkten.
Der Geografietest
Wie gut waren Sie in der Schule in Erdkunde? Denn Sie werden Ihre gesamten Kenntnisse brauchen, wenn Sie die Herstellungsländer der Welt erkunden - denn von B wie Bangladesch bis V wie Vietnam ist alles dabei - China, Indien, Kambodscha, Marokko, Myanmar, Serbien, Sri Lanka, Tunesien und die Türkei um genau zu sein. Wie gesagt, in einem durchschnittlichen Einkaufszentrum; das heißt, die Liste ist nicht vollständig.
Wobei fairerweise gesagt werden muss, dass allein das Herkunftsland noch kein Hinweis auf die Herstellungsbedingungen sein muss: In China zum Beispiel sind in den letzten fünf bis zehn Jahren die Löhne von Bekleidungsarbeitern gestiegen, so dass in vielen Bereichen ein Existenzlohn erreicht werden konnte. Und es gibt durchaus Bekleidungsfabriken mit hervorragenden Arbeitsbedingungen und Löhnen in Bangladesch, Indien, Pakistan, etc. Aber, wenn man verschiedene Faktoren wie Herstellungsland und Preis (siehe unten) zusammennimmt, ist das Etikett tatsächlich ein guter Anhaltspunkt: Wenn ein T-Shirt aus Bangladesch 2,99 Euro kostet, kann man sich die Herstellungsbedingungen und den Preis- und Zeitdruck bei den (nicht existenten) Margen ausrechnen.
Der Lügendetektortest
Einen Lügendetektor hatte FashionUnited natürlich nicht dabei, aber dafür keine Skrupel, ein Kleidungsstück genau zu untersuchen und alle Etiketten zu finden; auch die verstecktesten. Besonders ‘clever’ hier die Marke Pilini, die versucht Verbrauchern Sand in die Augen zu streuen beziehungsweise Halbwahrheiten auf Etiketten. Die - handgeschriebenen - Label im Kragenbereich versprechen “fully made in Italy” (selbst für T-Shirts, was selbst die leichtgläubigsten oder gut gesinntesten Kunden stutzig machen sollte). Ein Blick auf das Pflegeetikett verrät: “Made in PRC”- China also. Besonders schön auch Etiketten, die versuchen, sich mit Angaben zum Design herauszureden, “Designed in Italy” etwa oder “Crafted in France”. Was kommt als nächstes, “Conceptualised in my bathroom in Tuscany”? Aber Spaß beiseite: Es lohnt sich, alle Etiketten sorgfältig zu lesen.
Der Preistest
Eine Angabe immerhin lässt sich leicht finden, und das ist der Preis. Er ist meist auf ein Hänge-Etikett im Kragen- beziehungsweise Bundbereich angebracht - oder schreit einem schon von oft grellbunten Schildern am Regal entgegen: „drei für 19,99 Euro“, „T-Shirts: 4,99 Euro“, „3 kaufen, 2 bezahlen“ oder dergleichen. Bei Schleuderpreisen - auch außerhalb des Ausverkaufs - gilt: Vorsicht! Hier bleiben höchstwahrscheinliche keine Gewinnmargen übrig, geschweige denn solche, die sich auf bessere Arbeitsbedingungen und Löhne für die Arbeiter und Arbeiterinnen auswirken könnten.
Fazit: Augen auf beim Kleiderkauf! Verbraucher sollten auf jeden Fall die Zeit investieren, Etiketten genau unter die Lupe zu nehmen (im wahrsten Sinne des Wortes), wenn sie informiert einkaufen wollen. Oder gezielt Kleidung solcher Marken kaufen, bei denen Transparenz schon mit dem Etikett anfängt, wie etwa bei der deutschen Modemarke HUND HUND oder dem schwedischen Modeunternehmen ASKET (nicht zu verwechseln mit Arket), das für jedes einzelne Teil eines Kleidungsstück den Herstellungsort angibt.
Bei den untersuchten Etiketten handelte es sich um die der Marken Esprit, Guess, Housebrand, LC Waikiki, Mango, Marc O’Polo, Orsay, Pilini, Sinsay, Superdry, Tally Weijl, Tezenis und Tom Tailor. Diese wurden in einem willkürlich ausgewählten Einkaufszentrum in einer mittelgroßen europäischen Stadt besucht. Die Untersuchung wurde stichprobenartig durchgeführt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Fotos: FashionUnited