Die Herrenmode-Kollektionen der Saison H/W23 von (v.l.n.r.): Dior, Alpha und Gucci. Bild: Launchmetrics Spotlight.
Die Pandemie war ein weiterer offensichtlicher Grund für den Wunsch der Menschen, zur Natur zurückzukehren. Da sich dieser Aspekt jedoch weiterentwickelt, erwarten die Trendforscher:innen, dass die Marken noch einen Schritt weiter gehen: Funktionalität und Anpassungsfähigkeit sollen zu einem festen Bestandteil der täglichen Garderobe werden. In einem Trendreport erklärte das Deutsche Mode Institut, dass der zunehmende Druck, sich mit ökologischen Herausforderungen auseinanderzusetzen, hinter dem Trend steht. Während Trendforscher Carl Tillessen vom Institut dies mit einem Sinn für unaufgeregte, bequeme Kleidung in Verbindung bringt, glauben andere, dass es an der Hybridisierung von Oberbekleidung und Mode liegt.
„Während der Pandemie war die Verbindung zur Natur buchstäblich unser einziges Ventil – die einzige Möglichkeit, dem täglichen Chaos zu entkommen, das uns von der Gesellschaft fernhielt. Wir haben gelernt, die Magie zu nutzen und anzuzapfen, die uns Mutter Natur so einfach beschert“, so Fisher von Fashion Snoops. „Die ‚Große Migration‘ ermöglichte es uns, in Ecken der Erde zu ziehen, von denen wir vorher nur träumen konnten. Das Homeoffice ermöglicht es uns, diese Träume zu verwirklichen. Die Zeit seit 2020 war wahrscheinlich die anstrengendste in unserem Leben, aber sie hat uns auch die vielen Schätze vor unserer Haustür vor Augen geführt.“
Die Nähe zur Natur ist etwas, das zwar schon immer mit Sport- und Oberbekleidungsmarken assoziiert wurde, nun aber immer mehr in Haute Couture und Designer-Labels integriert wird. Sie haben den Wandel hin zu funktionellerer Kleidung erkannt und beziehen Performance-Aspekte in ihre eigenen Designs mit ein.
Naturbewusst
Die Herrenmode-Kollektionen der Saison H/W23 von (v.l.n.r.): Holzweiler, Issey Miyake und Dries Van Noten. Bild: Launchmetrics Spotlight.
Die Sorge um die Umwelt führt natürlich auch zu einem rücksichtsvolleren Umgang mit der Mode wenn es um Konsum und Produktion geht. Auch dies lässt sich was im Design der Kollektionen beobachten. Die damit verbundene Farbpalette, die Trendexperte David Shah während einer Präsentation bei der Messe MarediModa vorstellte, besteht aus ruhigen, organischen Erd-, Lehm-, Braun- und Sandtönen. Neutraltöne, von denen viele auf nachhaltige oder natürliche Weise hergestellt werden können. Shah fügte hinzu, dass es sich bei den Materialien größtenteils um reine und schlichte Stoffe handelt, die oft mit körnigen Strukturen versehen sind oder mithilfe von Biotechnologie hergestellt wurden.
Dieser Punkt wurde auch von Michael Fisher von Fashion Snoops unterstrichen. Er sagte, dass es künftig noch mehr Möglichkeiten geben könnte, Leder auf Pflanzenbasis und im Labor gezüchtete Materialien zu entwickeln. Die Verfügbarkeit dieser Materialien werde durch die Nachfrage der Millennials und der Generation Z nach nachhaltigerer Mode verstärkt, die die Marken bei der Integration von umweltfreundlichen Verfahren vorantreibe. „Wir fangen gerade erst an, die Möglichkeiten zu entdecken“, so Fisher weiter. „Nachhaltigkeit bedeutet nicht mehr, auf guten Geschmack oder Luxus zu verzichten.“
Natur und Spiritualität
Die Herrenmode-Kollektionen der Saison H/W23 von (v.l.n.r.): Études, White Mountaineering und Marine Serre. Bild: Launchmetrics Spotlight.
Wenn es eine Sache gab, über die sich die meisten Modemachenden einig waren, dann war es der neue Sinn für Spiritualität, der auf den HW23-Laufstegen herrschte und der sich im Laufe der Saison voraussichtlich weiterentwickeln wird. Die Mode hat sich von der Anarchie und Rebellion verabschiedet und ist durch die neue Verbindung mit der Natur ruhiger geworden. Dies drückt sich auch in der Slow-Fashion-Bewegung aus. Bei Fashion Snoops nennt man diesen Wandel „Soul-Centred“. Fisher beschreibt das Phänomen als „eine Evolution unseres individuellen und kollektiven Wohlbefindens“.
„Wir befinden uns in einem Massenerwachen, das in der Reife der Menschheit und der Entdeckung der Seele wurzelt. Unser Mangel an Stabilität und Vertrauen hat uns dazu veranlasst, die gesellschaftlichen Konstrukte infrage zu stellen und unsere innere Welt durch einen kuratierten Weg der Spiritualität zu verändern”, so der Trendexperte. „ Indem wir Ablenkungen ausschalten und tief in die Kontemplation eintauchen, beginnen wir zu verstehen, dass alles miteinander verbunden ist. Indem wir die Strukturen um uns herum lockern, versuchen wir, ein Leben zu führen, das in Wahrheit und Sinn verwurzelt ist, und stellen neue Anforderungen an uns selbst und andere.“
Dies zeigt sich sowohl in der Modebranche – man denke an die Entscheidung des Patagonia-Gründers Yvon Chouinard, das Unternehmen zu verschenken, um den Klimawandel zu bekämpfen – als auch im Modedesign selbst. Dort kommt es in der Verwendung von Rohstoffen, funktionellerer Mode und rustikalen Stoffmischungen zum Ausdruck. Allesamt Merkmale, die nach Ansicht von Denim Dudes auch in den FS24-Kollektionen zu finden sein werden. Auch Trendanalystin Hilde Franq bezog sich in ihrer Trendprognose auf Spiritualität. Sie sieht diese allerdings einen Wandel von der anfänglichen Fokussierung auf den Mond zu einer Konzentration auf die Sonne. Franq glaubt, dass im Frühjahr/Sommer 2024 warme, optimistische Farben ins Spiel kommen werden, während feine Texturen aus Seide oder komplizierte Perlenstickereien eine zentrale Rolle in der Mode spielen werden.
Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.uk veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ