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Jahresrückblick Insolvenzen: Das dicke Ende kommt wohl erst

Von Jan Schroder

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Allmonatlich ermittelt das Statistische Bundesamt die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland. Und für 2020 lesen sich die bloßen Resultate bislang erstaunlich gut: Erst vor wenigen Tagen meldete die Wiesbadener Behörde, dass die Zahl der Insolvenzen in den Monaten Januar bis September gegenüber dem Vorjahreszeitraum um rund 13 Prozent gesunken sei.

Doch in Zeiten von Covid-19 ist diese Statistik trügerisch. Schließlich hatte die Bundesregierung im Rahmen ihres Hilfspakets gegen eine pandemiebedingte Wirtschaftskrise die Antragspflicht für Insolvenzen ab März ausgesetzt. Für überschuldete Unternehmen gilt die Regelung nach wie vor, seit Anfang Oktober sind lediglich zahlungsunfähige Firmen wieder zur Antragstellung verpflichtet. So fügt die Statistikbehörde den aktuellen Resultaten einen Warnhinweis bei: „Die wirtschaftliche Not vieler Unternehmen durch die Corona-Krise spiegelt sich somit bislang nicht in einem Anstieg der gemeldeten Unternehmensinsolvenzen wider“, heißt es Monat für Monat in den Pressemitteilungen.

Wirtschaftsexperten befürchten daher bereits seit Längerem, dass die rechtliche Ausnahmeregelung, die inzwischen ins neue Jahr hinein verlängert wurde, zahlreiche sogenannte „Zombie-Unternehmen“ schaffe, die unter normalen Umständen längst untergegangen wären. So warnen viele Fachleute vor einer Pleitewelle nach der Rückkehr zu den regulären Antragspflichten. Hinzu kommen die Auswirkungen des zweiten Lockdowns seit Mitte Dezember, der in weiten Teilen des Einzelhandels erneut zu massiven Umsatzeinbußen geführt hat.

Wie schlecht es derzeit wirklich um einige Branchen – und hier vor allem um die von der Krise besonders stark betroffenen Bekleidungshändler – steht, lassen die zunehmend dramatischer klingenden Appelle der Interessenverbände erahnen. Spätestens als die Läden kurz vor Weihnachten aufgrund rasant steigender Covid-Fallzahlen erneut schließen mussten, schlugen die Branchenorganisationen Alarm: Knapp drei Viertel aller Bekleidungsanbieter befänden sich „in Existenzgefahr“, warnte der Handelsverband Deutschland (HDE) in dieser Woche. Die Verbände der Textil-, Schuh- und Lederwarenhändler hatten kurz zuvor erklärt, dass sich die Umsatzeinbußen aufgrund des jüngsten Lockdowns in diesen Segment auf insgesamt rund sechs Milliarden Euro belaufen könnten.

Sicher haben solche Hilferufe auch den Zweck, die eigene Klientel im Verteilungskampf um die staatlichen Unterstützungsmittel aussichtsreich zu positionieren. Doch für viele Handelsunternehmen ist das Weihnachtsgeschäft, das in diesem Jahr abrupt beendet wurde, tatsächlich essenziell – und bereits der erste Lockdown im Frühjahr hatte zahlreiche namhafte Bekleidungsanbieter in Insolvenz- oder Schutzschirmverfahren gezwungen.

Mit dem ersten Lockdown im März begann eine Pleitewelle im Bekleidungshandel

Kurz nachdem Mitte März im Kampf gegen die erste Corona-Welle die Schließung zahlreicher Geschäfte angeordnet worden war, reagierten die ersten Einzelhändler auf die zu erwartenden Einnahmeverluste mit dem Gang zum Amtsgericht. Dazu zählten zahlreiche Unternehmen, die schon vor der Krise in Schwierigkeiten geraten waren. So beantragte der Bekleidungsanbieter Esprit, der ohnehin hohe Verluste schrieb, bereits Ende März Schutzschirmverfahren für seine deutschen Tochtergesellschaften. Damit verschaffte sich der Konzern Spielraum, um die fälligen Einschnitte vorzunehmen: Etwa die Hälfte der deutschen Filialen und insgesamt über 1.000 Arbeitsplätze fielen dem Sanierungspaket zum Opfer. Im Dezember konnten die betroffenen Gesellschaften nach einem teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger den Schutzschirm wieder verlassen. Doch die Zeiten bei Esprit bleiben unruhig: Kurz vor Weihnachten verkündete das Unternehmen, dass CEO Anders Kristiansen und Finanzchef Johannes Schmidt-Schultes ihre Posten räumen werden.

Anfang April suchte auch Galeria Karstadt Kaufhof Zuflucht in einem Schutzschirmverfahren. Der letzte deutsche Warenhauskonzern, der bereits seit Längerem mit dem veränderten Einkaufsverhalten der Kunden zu kämpfen hatte, legte danach ebenfalls ein radikales Sparkonzept vor. Letztlich wurde das Aus für mehr als 40 der 172 Standorte beschlossen. Im Sommer verließ CEO Stefan Fanderl das Unternehmen, nun soll Miguel Müllenbach den Einzelhändler in eine erfolgreichere Zukunft führen. Im Herbst konnte der neue Konzernchef immerhin eine frohe Botschaft verkünden: Mit der Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan war das Unternehmen schuldenfrei, das Schutzschirmverfahren wurde Ende September abgeschlossen.

Problemfall Innenstadt: Zahlreiche Traditionsunternehmen geraten in Zahlungsschwierigkeiten

Neben Galeria Karstadt Kaufhof traf es im Frühjahr weitere traditionelle Handelsinstitutionen der deutschen Innenstädte: Auch Appelrath Cüpper, Sinn und Hallhuber beantragten Schutzschirmverfahren. Die Krise traf aber auch jüngere Konkurrenten: So mussten etwa der Fast-Fashion-Filialist Colloseum und die Muttergesellschaft des Outdoor-Ausstatters McTrek im April Insolvenzanträge stellen.

Doch auch nach dem Ende des ersten Lockdowns Anfang Mai setzte sich die Pleitewelle im Bekleidungs- und Schuhhandel fort. Betroffen waren Unternehmen aus allen Segmenten, etwa der Denim-Anbieter Jeans Kaltenbach, die Bekleidungskette Fashion Store oder der Wäschefilialist Herzog & Bräuer sowie die deutschen Töchter der Marken Gina Tricot, Pimkie und Tally Weijl.

Im Schuhhandelssegment traf es unter anderem die Ketten Aktiv-Schuh und Dielmann. Für Dielmann und die zur Unternehmensgruppe gehörende Handelskette Sporthaus Robert Hübner gab es keine Zukunft: Die Filialen des Konzerns wurden schrittweise an verschiedene Konkurrenten verkauft, die sie künftig unter eigenem Namen weiterführen wollen.

Nach Insolvenz des Mutterkonzerns: Tom Tailor und Bonita gehen getrennte Wege

Einschneidende Folgen hatten die wirtschaftlichen Probleme auch beim Hamburger Bekleidungskonzern Tom Tailor. Aufgrund der krisenbedingten Einnahmeausfälle verschärften sich die finanziellen Nöte der ohnehin seit Jahren defizitären Tochtergesellschaft Bonita so weit, dass die Kette im Juni ein Schutzschirmverfahren beantragen musste. Gleichzeitig meldete die börsennotierte Dachgesellschaft Tom Tailor Holding Insolvenz an. Im Anschluss wurde der Konzern zerlegt: Die wirtschaftlich solide Tom Tailor GmbH mit der gleichnamigen Hauptmarke wurde bereits im Sommer vom chinesischen Mischkonzern Fosun übernommen. Im November fiel dann die Entscheidung, Bonita im Rahmen eines Management-Buy-Outs an eine Investorengruppe um Geschäftsführer Karsten Oberheide zu veräußern. Die Transaktion soll im kommenden Frühjahr vollzogen werden. Die insolvente Holding verabschiedete sich indessen aus Kostengründen von der Frankfurter Börse. Der Aktienhandel an der Hanseatischen Wertpapierbörse in Hamburg geht aber weiter.

Verblasster Glanz: Auch Escada ist wieder insolvent

Der traditionsreiche Mittelstand blieb von den Krisenfolgen nicht verschont: Im Sommer musste der Hosenspezialist Hiltl wegen nicht eingehaltener Finanzierungszusagen des Eigentümers unter den Schutzschirm, im September traf es den Schuhanbieter Peter Kaiser.

Und auch eines der einstmals glanzvollsten Unternehmen der deutschen Modeszene geriet erneut in finanzielle Nöte: Zum zweiten Mal nach 2009 musste das Modehaus Escada, das seit dem vergangenen Jahr dem US-amerikanischen Finanzinvestor Regent gehört, Insolvenz anmelden. Im November wurde dann klar, dass nur ein kümmerlicher Rest von der einst so stolzen Firma übrig bleiben wird. Der größte Teil der Geschäftsaktivitäten wird bis zum kommenden Februar eingestellt.

Fotos: Picture Alliance/Fotostand, Mehdi Taamallah/NurPhoto via AFP, Jonas Güttler via dpa/Picture Alliance, Tom Tailor (Fotografin: Sabine Skiba)

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