Jahresrückblick 2021 – Teil 1: Januar bis Juni
Wird geladen...
Auch im Jahr 2021 prägte die Covid-19-Pandemie die Modebranche: Entwicklungen, die sich im Vorjahr bereits abgezeichnet hatten, verstärkten sich weiter – mit oft massiven Konsequenzen. Doch die Pandemie war beileibe nicht das einzige Thema in der Bekleidungsindustrie.
Heute blicken wir auf einige Schlüsselereignisse in den Monaten Januar bis Juni zurück. Die zweite Jahreshälfte folgt dann am Dienstag.
Januar: Der Lockdown spaltet die Branche
Das Jahr beginnt im Lockdown: Kurz vor Weihnachten mussten in Deutschland angesichts der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie erneut alle Läden schließen, deren Sortimente nicht den „Waren des täglichen Bedarfs“ zugeordnet werden – betroffen waren also auch die Modehändler. Ursprünglich sollten die Beschränkungen Mitte Januar enden, letztlich dauerte es bis weit ins Frühjahr, ehe die betroffenen Läden wieder öffnen durften.
So öffnete sich die Schere zwischen stationären Einzelhändlern und Online-Anbietern weiter. Während die deutsche E-Commerce-Branche ein Rekord-Weihnachtsgeschäft mit einem Umsatzwachstum um fast ein Viertel feiern durfte und für das neue Jahr erstmals Erlöse von mehr als 100 Milliarden Euro anpeilte, rutschten Unternehmen, die vor allem auf ihr Filialgeschäft angewiesen waren, tiefer in die Krise.
Kurz nach dem Jahreswechsel musste etwa die Kette Adler Modemärkte Insolvenz anmelden – unter Verweis auf die Umsatzeinbußen im Zuge der erneuten Ladenschließungen. Der irische Discounter Primark, der im Gegensatz zur Konkurrenz komplett auf ein eigenes Onlinegeschäft verzichtet, bezifferte die erwarteten Einnahmeausfälle aufgrund des zweiten Lockdowns in Europa auf insgesamt 220 Millionen Britische Pfund.
Gerade in Großbritannien beschleunigten die erneuten Beschränkungen für den stationären Handel die Verschiebung der Kräfteverhältnisse: So sicherten sich E-Commerce-Spezialisten traditionsreiche Namen, die während der Corona-Krise endgültig in die Knie gegangen waren: Asos erwarb bekannte Marken wie Topshop und Topman vom insolventen Arcadia-Konzern, der umstrittene Fast-Fashion-Anbieter Boohoo schlug beim 243 Jahre alten Einzelhändler Debenhams zu, dessen Sanierung kurz vor Weihnachten gescheitert war. Bezeichnenderweise übernahm das Unternehmen aber nur die Markenrechte und das Onlinegeschäft. Die Warenhäuser von Debenhams wurden geschlossen, und die britischen Einkaufsstraßen verloren erneut eines ihrer früheren Aushängeschilder.
Februar: Die nächste Milliarden-Übernahme: L Catterton erwirbt Birkenstock
Aufsehen erregende Übernahmen gab es aber beileibe nicht nur, weil sich Unternehmen günstig auf der Resterampe insolventer Konkurrenten bedienten. Für starke, zukunftsträchtige Marken mochten Konzerne und Investoren tief in die Tasche greifen. Kurz nach dem Jahreswechsel wurde die bereits vor Monaten vereinbarte Übernahme des Traditionsjuweliers Tiffany & Co. durch LVMH vollzogen – umgerechnet knapp 13 Milliarden Euro ließ sich der franzöische Luxusgütergigant den prominenten Neuzugang kosten.
Im Februar folgte der nächste Milliardendeal: Das Investmenthaus L Catterton – hinter dem die LVMH-Eigentümerfamilie Arnault steht – sicherte sich die Mehrheit am deutschen Schuhhersteller Birkenstock. In Presseberichten war von einem Kaufpreis in Höhe von vier Milliarden Euro die Rede, offizielle Zahlen wurden aber nicht veröffentlicht.
Für den Sandalenspezialisten bedeutete der Eigentümerwechsel den Auftakt einer neuen Wachstumsphase: Das Unternehmen kündigte inzwischen an, etwa 100 Millionen Euro in den Ausbau seiner deutschen Produktionsstätten zu investieren. Profitieren wird der Hauptstandort in Görlitz – und wahrscheinlich auch die vorpommersche Stadt Pasewalk, in der Birkenstock ein neues Werk für seine Kunststoffschuhe errichten will.
Weitere große Marken fanden im Laufe des Jahres neue Eigentümer: Die Diesel-Mutter OTB erwarb Jil Sander, der US-Konzern Authentic Brand Group (ABG) sicherte sich das Outdoor-Label Eddie Bauer, übernahm das komplette Traditionsmarken-Segment von PVH und einigte sich mit Adidas auf den Kauf der US-Tochter Reebok, der Anfang kommenden Jahres vollzogen werden soll.
Weniger spektakulär, aber zukunftsweisend waren zahlreiche Deals, mit denen sich Großkonzern Technologie-Start-ups und Logistikfirmen einverleibten. Angesichts der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung in der Branche und der zunehmenden Unsicherheiten in den Lieferketten sind zahlungskräftige Unternehmen inzwischen bestrebt, sich entsprechende Kompetenzen ins eigene Haus zu holen.
März: Die Türen bleiben zu: Corona hat den Modehandel im Griff
Die Coronakrise nimmt den befürchteten Verlauf: Noch immer sind die Modeläden in vielen europäischen Ländern geschlossen. In Deutschland wächst in der Branche und teilweise auch in der Politik die Ungeduld: Die Dispute zwischen Lockerungsbefürwortern und Gesundheitspolitikern und -experten werden schärfer, die wöchentliche Entwicklung der Inzidenzzahlen bestimmt die Debatte.
Die Folgen der mittlerweile dritten Pandemiewelle schlagen sich nach einer zwischenzeitlichen Erholung im vergangenen Sommer auch wieder in den Resultaten nieder: So meldete der schwedische Bekleidungskonzern Hennes & Mauritz für das erste Quartal einen Verlust in Höhe von umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro.
Der seit Langem kriselnde Textilhändler Esprit, dessen deutsche Tochtergesellschaften bereits im ersten Pandemiejahr im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens radikale Einsparungen vorgenommen hatte, sorgte sich angesichts der neuerlichen Umsatzeinbußen sogar öffentlich um den Fortbestand des Unternehmens.
Hoffnung auf eine Ende der Gesundheitskrise bereitete im Frühjahr immerhin die Fahrt aufnehmende Impfkampagne – die letztlich aber die vierte Pandemiewelle vor dem Jahresende auch nicht verhindern konnte.
April: About You – Umsatzmilliarde auf dem Weg Richtung Börse
Der Hamburger Online-Modehändler About You gehörte zu den Gewinnern des von der Krise zusätzlich verstärkten E-Commerce-Booms und konnte im April ein symbolträchtiges Resultat feiern: Im Geschäftsjahr 2020/21 überschritt der Umsatz erstmals die Milliarden-Euro-Schwelle. Gegenüber dem Vorjahr wuchsen die Erlöse um 57 Prozent auf 1,17 Milliarden Euro.
Angesichts der starken Zahlen verdichteten sich Spekulationen über einen möglichen Börsengang des 2014 gegründeten Aufsteigers – schließlich hatten diesen Weg in den vergangenen Monaten bereits andere deutsche Onlinehändler aus der Modebranche wie Fashionette und Mytheresa eingeschlagen. About You ließ tatsächlich bald konkrete Schritte folgen: Seit Juni ist das Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert, schon im September wurde der Neuling in den Index SDax aufgenommen.
Mai: Victoria’s Secret emanzipiert sich
Ein weiterer Börsenneuling wurde im Mai angekündigt – allerdings handelte es sich nicht um ein aufstrebendes Jungunternehmen, sondern um eines, das nach turbulenten Jahren den Neustart wagen musste: Der US-amerikanische Handelskonzern L Brands hatte beschlossen, seine Wäschemarke Victoria’s Secret mittels eines Spin-offs als eigenständige Gesellschaft an die Börse zu bringen.
Damit verabschiedete sich L Brands von der Bildfläche, nachdem die Unternehmensgruppe in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Marken eingestellt oder abgegeben hatte. Da nach der Abspaltung von Victoria’s Secret einzig die äußerst erfolgreiche Kosmetikkette Bath & Body Works im Portfolio verblieb, firmiert die Gesellschaft seither unter diesem Namen.
Für Victoria’s Secret markierte der Schritt nicht nur wirtschaftlich den Bruch mit der Vergangenheit: Kaum eine Marke hatte zuvor innerhalb weniger Jahre einen so massiven Ansehensverlust erlitten. Hatte das Label mit seinen weltweit verfolgten Modenschauen noch vor wenigen Jahren für beispiellosen Glamour gestanden, musste es zuletzt harsche Kritik an seinem eindimensionalen, klischeehaften Schönheitsideal einstecken und verlor massiv an Kund:innen.
Noch unter dem Dach von L Brands wurden bei Victoria’s Secret die nötigen Reformen eingeleitet: Die Kosten konnten durch die Schließung zahlreicher Filialen kräftig gesenkt werden, gleichzeitig arbeitete die Marke an einem zeitgemäßen, inklusiven Image. Als eigenständiges Unternehmen kann der Wäscheanbieter diesen Kurs nun mit voller Konzentration fortsetzen.
Juni: Der Hoffnungsträger ist da – Daniel Grieder übernimmt Chefsessel von Hugo Boss
Beim Metzinger Modekonzern Hugo Boss AG hatte das lange Warten auf den neuen Hoffnungsträger ein Ende: Daniel Grieder übernahm Anfang Juni endlich den Chefsessel, nachdem seine Ernennung zum CEO bereits knapp ein Jahr zuvor verkündet worden war. Schon kurz vor dem Amtsantritt verkündete der frühere Leiter der Modemarke Tommy Hilfiger sein ambitioniertes Ziel, den Umsatz von Hugo Boss in den kommenden fünf Jahren mindestens zu verdoppeln.
Um den Plan zu verwirklichen, setzte Grieder auf eine Vielzahl von personellen Wechseln. Schnell wurde auch die neue Handschrift bei der Markenpositionierung deutlich: Mit digitalen Initiativen und Kollaborationen will das Traditionsunternehmen verstärkt eine jüngere, modebewusste Zielgruppe ansprechen. Abzuwarten bleibt nun, inwieweit die Frischzellenkur sich tatsächlich in den Geschäftszahlen niederschlagen wird.